Das Fest der Liebe und des Friedens

#krieg #frieden #israel #gaza

Das Mädel hat das Friedenslicht geholt, in Stuttgart. Das ist so ein Pfadfinderding. In Bethlehem werden Kerzen am Ewigen Licht in der Geburtskirche entzündet, und von dort wird die Flamme in alle Welt getragen. Die Pfadfinderstämme dieser Region holten das Licht in Stuttgart ab. Es leuchtet jetzt bis Dreikönig am Würstchen-Crepes-und-Punsch-Stand am Alten Rathaus. Es muss ein berührender, kindgerechter Gottesdienst gewesen sein und ein erlebnisreicher Ausflug, Und es ist ein inspirierender Gedanke.

Es fühlt sich ein wenig an wie Hohn, in diesen Tagen – „Frieden“. Zumal der Ruf nach ihm schnell zurückschlägt und einem vorwurfsvoll um die Ohren fliegt. Wer in Kriegszeiten gegen Krieg ist, gilt als illoyal und Verräter*in. Und immer wieder wird betont, dass Europa nun schon eine sooo lange Zeit Frieden hat. 78 Jahre. Das gilt als lang. Und das wiederum bedeutet, Krieg gilt als Normalzustand. Es muss jeder Mensch durchschnittlicher Alterserwartung damit rechnen, mindestens einen Krieg im Leben zu erleben. Und da zweifle ich dann am menschlichen Verstand, und natürlich an der Kompetenz der Politik, egal welcher Art sie geschaffen ist, ob demokratisch oder nicht, ob religiös oder säkular, ob kapitalistisch oder sozialistisch, ob männlich oder weiblich. Es scheint keinen Unterschied zu machen. Krieg ist im Konflikt das Mittel der Wahl, und ich finde ihn fast immer die schlechteste aller Lösungen.

Das Fest der Liebe. Von Liebe und Friedfertigkeit geführt. Das würde Verzeihen beinhalten und auch Verzicht. Wenn diese Bereitschaft uns tatsächlich leiten würde, wie anders könnte unsere Welt aussehen. Es gilt ja eher als Luxus, wenn man anmahnt, dass die Gesellschaft, und also auch die Politik, solchen Geboten folgen soll. Wenn man die Message ernst nimmt, ist man im Umdrehen wohlstandverweichlicht.

„Kompromisse sind Lösungen, die keiner will.“ Der Satz fiel neulich in einem Gespräch, in dem es eigentlich um Beziehungsfragen ging. Ich finde ihn immer noch krass. Mag sein, niemand will den Kompromiss. Aber will man das, was entsteht ohne ihn? Ohne Kompromiss geht viel mehr kaputt.  Und gibt es überhaupt ein Recht, immer alles genau so zu bekommen wie man es will? Es steckt doch auch eine Chance in Kompromissen. Vielleicht entdeckt man ja, dass es anders als ursprünglich gewollt ganz wunderbar ist. Es gibt doch mehr als die Vorstellung im eigenen Kopf, und der ist doch lern – und anpassungsfähig.

Kriege, Härten und Unnachgiebigkeiten mögen ihre Rechtfertigung haben. Richtig sind sie deshalb nicht zwangsläufig.

Ich empfinde eine tiefe Schuld gegenüber allen Juden und Jüdinnen, eine persönliche auch, weil ich auch in der eigenen Familie feststelle, dass mit vielem doch sehr unreflektiert umgegangen wurde und wird, und dass meine Reaktion beileibe nicht immer die war, die sie hätte sein sollen. Ich empfinde diese Schuld auch gegenüber Israel. Die von Angela Merkel erklärte Staatsräson trage ich mit. Ich gehe davon aus, dass die Gründung Israels sehr unter den Eindrücken des Dritten Reiches stand. Es gab Bestrebungen zur Gründung eines jüdisch geprägten Staates schon vorher, aber wie die dann vollzogen wurde, war ganz bestimmt auch diesem gerade überlebten Horror geschuldet. „Jeder Mensch braucht eine Zuflucht.“  Auf die arabische Bevölkerung im Land wurde in dem Moment wenig Rücksicht genommen. Das ist nachvollziehbar, aber ein Problem mit schlimmen Konsequenzen. Und das führt dazu, dass ich auch eine Schuld gegenüber diesen Leuten empfinde; eine Schuld, die ohne mein Zutun und ohne meinen Widerstand wächst. Der gegenwärtige Krieg tut mir unfassbar leid, und ich kann es nicht richtig finden.

Ich habe – in seriösen Medien – über den Krieg in Gaza gelesen. Die Hamas ist ein Übel, deren Wirken gestoppt werden muss. Der Angriff am 7. Oktober ist entsetzlich und durch nichts zu rechtfertigen. Trotzdem sind die allermeisten Leute in Gaza ganz normale Leute, die ihre Leben leben und ihre Kinder in Frieden großziehen wollen. Der israelische Verteidigungsminister Gallant sprach zu Beginn des Kriegs von „menschlichen Tieren“, und ein ehemaliger Angehöriger von Netanjahus Likud-Partei, der mittlerweile eine eigene Partei gegründet hat, sprach davon, dass Gaza Dresden werden müsse. „Löscht Gaza jetzt aus. Was die Bevölkerung in Gaza erleidet, scheint in diesem Sinn zu geschehen. Den Leuten dort lässt man eigentlich keine Chance.

Israel ist, und das ist gut so. Jeder Mensch braucht eine Zuflucht. Betonung auf „jeder“. Ein Staat, der gedeihen will, braucht gute nachbarschaftliche Beziehungen. Man müsste diese Sätze irgendwie zusammenbringen.

Das Dritte Reich hat ganz neue Kategorien des Grauens geschaffen und Grenzen menschlichen Handels gesprengt. Und dies Grauen ist erst beendet worden mit sehr viel Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. Man hat in Schutt und Asche gebombt. Das war ein schreckliches Ende. Ich bin dennoch froh, dass es ein Ende war. Die Kategorien und Maßstäbe des Dritten Reiches sollen niemals und nirgends gelten.

Hin wie her, ob von der Hamas oder von Israel, in Bezug aufs Dritte Reich oder ohne – es wird das eine Grauen nicht durch ein anderes richtig. In Kriegen sind alle beides – Opfer und Täter, unschuldig Leidende/r und Schuldige/r. Es wird jetzt über eine Feuerpause beraten und über die Errichtung eines Flüchtlingslagers im Norden des Gazastreifens. Das ist gut. Trotzdem braucht dieser Konflikt eine Lösung, nicht noch mehr Grauen und Schuld und Horror und Leid. Freilich steht mir gerade nun kein Urteil zu. Was soll ich, Enkelin deutscher Großeltern, die nicht im Widerstand waren, mit Moral daherkommen. Ich kann nur dastehen und es schrecklich finden.

Eigentlich müsste man das Friedenslicht auch wieder zurücktragen und überall verteilen.

Alles, denen es vergönnt ist, ein Frohes Fest.

Der Stand der Pfadfindergemeinschaft Sankt Georg steht am Alten Rathaus bis Dreikönig. Von 10.30  bis 19 Uhr gibt es Crepes, Wurst, Glühwein und Punsch. An Sonn – und Feiertagen ist die Hütte geschlossen.

Viel Theater über offene Fragen und Missverständnisse

„Max Stirner und der böse Bube“

„Der einzige Schüler, der ihn je verstanden hat, und das falsch!“, klagte Max Stirner am Schluss, und bezog sich damit auf Hegel, der das gesagt haben soll, über ihn, Stirner selbst – so hab ich´s jedenfalls verstanden, ich sag mal – ohne Gewähr, mir hat schon etwas der Kopf geraucht, was bestimmt mit dem Thema des Stücks zusammenhing, aber auch mit dem Umstand, dass ich es neben meiner Eigenschaft als Zuschauerin auch als Mama sowie Ex-Ensemble und -haushaltsmitglied ansah. Auf der Bühne des Hinterzimmertheaters im Adler in Hausen jedenfalls hat der Schüler Richard-Anton – in echt Anton, mein Sohn – seinen Privatlehrer Max Stirner – in echt Peter Burri, sein Papa – falsch verstanden und Schlüsse gezogen, die vom Lehrer so nicht beabsichtigt waren. Ich persönlich hätte mich über dies Missverständnis nicht sonderlich gegrämt, es gibt schlimmere. Aber das kann und soll jede*r Zuschauer*in am Ende selbst entscheiden.

Max Stirner, las ich hinterher auf Wikipedia, war ein deutscher Philosoph, Journalist und Schriftsteller und lebte von 1806 bis 1856. „Hegelianer“ war er, und um die Befreiung aus der Unmündigkeit ging es ihnen beiden. Ich habe sowohl von Max Stirner als auch von Hegel keine Ahnung. Ich hätte das Thema des Stücks grob mit „Das Individuum und die Gesellschaft“ beschrieben, und in welchem Verhältnis die zueinander stehen. Durchaus aktuell. Und da gibt es sehr viele Missverständnisse, schlimmere, für mein Empfinden.

Wenn ich das derzeit tobende Drangsalieren und Bekriegen im Namen der Götter betrachte, komme ich um den Schluss nicht herum, dass dies ganze Religionsgedöns eine einzige Geschichte des Missverständnisses und Missbrauchs ist.

In Bayern und Hessen hat die CDU/CSU die Landtagswahlen gewonnen, und die Afd hat an Stimmanteilen zugelegt. Die „deutsche Kultur“ wollen sie alle schützen, und ich frage mich, worin die deren Meinung nach bestehen soll. Ich hätte sie selbst auf jeden Fall auch in der Aufklärung verortet. Aber vielleicht geht’s auch um Maßbier, Fussball, Malle und BMW. Was die Schwarzen so verkörpern, ist heuchlerisch und verlogen, und der Eigennutz ist über alles gestellt. Und das ist im Grunde auch die Strategie, in der man sich mit den ultrarechten, nationalistischen Braunen gut versteht. Christlich – und das soll ja ebenfalls als Teil einer deutschen Kultur gelten – ist das nicht.

In Bayern kam die CSU auf 37%, die Afd auf 14,6%. In Hessen hat die CDU 34,6, die Afd 18,4%. In Aschaffenburg, das zu Bayern gehört, aber irgendwie eher hessisch ist, hat die CSU 40,4, die Afd 17,4%. Da sind Schwarz und Braun addiert am stärksten. In Aschaffenburg wird ein Mal im Monat von sog. Querdenkern und Rechten protestiert, und die Forderungen sind flexibel und krude, je nach aktuellem Anlass geht’s halt um Unzufriedenheiten im Persönlichen und Allgemeinen, und bisweilen gewähren Demonstranten auch ehrliche Einblicke: „Der Klimaschutz geht uns am Arsch vorbei – wir wollen Wohlstand.“ Und der ist qua System nie genug, der braucht immer „mehr“. Das sieht man in anderen Parteien ganz gleich – am Ende siegt die Wirtschaft und geht es um die eigenen Annehmlichkeiten. Die FDP, meines Erachtens nach eine Partei der Porschefahrer, lädt in einem hiesigen Autohaus zur Diskussion um E-Fuels, die unbestritten eine gute Technologie sind, aber eben nicht für den massenhaften Individualverkehr geeignet, da auch nicht mehr klimaneutral, und nur zum steuerlich subventionierten Vergnügen eben jener Porschefahrer eingesetzt.

Missverständnisse über Missverständnisse, eine Kultur des Eigennutzes und mitnichten von aufgeklärter Eigenverantwortung geprägt. Und alle berufen sich auf irgendwelche Definitionen von „Freiheit“, die gegen das Gemeinwohl ausgespielt wird. Ich selbst stelle Eigennutz und Gemeinwohl nicht in Widerspruch zueinander, sondern sehe meine Freiheit durch das Gemeinwohl sinnvoll begrenzt, fürs Ego habe ich ausreichend Spielraum. Ich habe auch nichts gesellschaftliche Strukturen, in die ich mich füge – solange ich sie mit bestem Wissen und Gewissen annehmen kann, und natürlich, solange sie nicht zu starr sind. Wo grundlos gemauert wird, hole auch ich die Spitzhacke raus. Und ich empfinde eine tröstliche Demut im Bewusstsein von Höherem als der eigenen Existenz.

Und da bin ich wieder am Theaterstück. Mal diskutierten Lehrer und Schüler, mal Lehrer und Gräfin. Es schaukelte sich so hoch. Ist jedes Sich-Fügen Selbstaufgabe und Zwang geschuldet, wie Stirner es ausführt, und tut man nicht alles ohnehin aus Eigennutz? „Alle wollen Hirte sein, keiner Ziege“, so sagte er. Stirner besteht auf umfassende Eigenverantwortlichkeit ohne alle Vorgaben. Aber was bedeuten dann „Gesellschaft“ und „Gemeinwohl“? Da scheiden sich die Geister. Und wenn jeder Hirte ist – will dann nicht einer zwangsläufig den Oberhirten geben? Und gibt es überhaupt eine alle umfassende, übergeordnete Menschenliebe? Die Gräfin, sehr glaubwürdig und toll gespielt von Anneliese Hirsch, findet „ja“ und ist damit nicht mehr auf einer Linie mit dem von ihr engagierten Privatlehrer Stirner – eben Peter Burri, aus dessen Feder das Stück stammt, und der also mit gescheiten Gedanken und souveränem Spiel auch mich – und ich bin durchaus vorbelastet – überzeugte. Von seinen Händen stammt natürlich auch das Bühnenbild, das sich stimmig und ansprechend in den stets bezaubernden Charme des Adlers fügte. Richard-Anton – also mein Sohn Anton, und auch da bin ich voreingenommen, aber absolut einer Meinung mit allen meinen Mitzuschauer*innen – war klasse: selbstbewusst, sicher und präsent. Ich hätte zehn weitere Vorhänge klatschen wollen. Tochter Martha war die süßeste Hausmaus, die man sich vorstellen kann, und auch damit war ich nicht alleine – man hätte sie gerne öfter gesehen.

Unter den Mitzuschauerinnen war auch Ika Sperling, die derzeitige Stadtschreiberin, die in Comics erzählt und zeichnend sieht. Sie hat permanent im abgedunkelten Zuschauerraum „halb blind“ mitgezeichnet. Das beigefügte Bild besteht aus Ausschnitten davon. An dieser Stelle herzlichen Dank, dass ich´s hier verwenden darf. Ihre Bilder-Geschichten sind toll.

Richard-Anton hat Stirner falsch verstanden. Der echte Anton sagt, er habe den Inhalt so ziemlich komplett kapiert. Ich weiß es nicht. Ums eigenmächtige Lernen ging es. Und da denke ich – Lehren kann nur Angebote machen, was wer lernt, entscheidet in der Tat jeder selbst. Und natürlich wird da herausgepickt, was passend erscheint. Ich wage zu behaupten, man verzeihe die Wortwahl, in jedem steckt ein kleines Arschloch und ein Held. Meistens bewegt man sich so mittendrin, aber man hat die Wahl, welchem Licht man folgt. Darum plädiere ich persönlich für eine bestmögliche Herzensbildung, dann pickt man wenigstens nicht ganz verkehrt. (Sind wir wieder bei der allgemeinen Menschenliebe, die der echte Max Stirner, so lese ich im Internet, auch empfunden hat. So fand ich folgendes Zitat: „Ich liebe die Menschen auch, nicht bloß einzelne, sondern jeden. Aber ich liebe sie mit dem Bewusstsein des Egoismus; ich liebe sie, weil die Liebe mich glücklich macht, ich liebe, weil mir das Lieben natürlich ist, weil mir´s gefällt.“ Auch okay.)

Die Premiere, die also auch Uraufführung war, war gut besucht und ein voller Erfolg. Ich für meinen Teil will die Hausmaus nochmal sehen und Richard-Anton brillieren, und will nochmal den Vorbehalten der Gräfin und den Stirnerschen Gedanken folgen. Ich will nochmal hin!

Weitere Vorstellung gibt es im Hinterzimmertheater im Adler in Hausen am Samstag, den 21. Oktober, und an den Samstagen des 4. und des 18. November, jeweils um 20 Uhr.

Mittelschichtsträume und die wunderbare Leichtigkeit des Seins

Ein Vollbad, ein langer Spaziergang, frühes Schlafen, im Sessel sitzen und nichts tun – das Schicksal kann so großzügig sein. Noch immer Ferien. Ich kann sie gediegen verdauen – die leichtlebige Woche „Kulturufer in Friedrichshafen“, mit Sommer – den ich da als eine Frage des Willens mehr denn als eine des Wetters definiert habe – mit Akrobatik, Theater, Kabarett, Tanz und Zauberei und Musik auf jedem Schritt und mit dem Bodensee vor der Wohnwagentür und einem sehr sympathischen Mikrokosmos hinter den Kulissen des Festivals. Schön war das und bedenkenswert. Auf von einem Kurztrip kommt man nicht gleich wieder heim wie man aufbrach.

Da war eine Männerband, Machos in Style und Texten, aber sehr witzig, bisweilen klar ironisch, aber mitunter war ich mir auch nicht sicher, was Ernst war, was Ironie, und was überwog, die Lebensfreude oder der Frust über die Zumutungen eines sich ändernden Männerideals. Der Freund auch der Wohnwagennächte fand die Band überhaupt nicht macho. Am Abend darauf eine feministische Lesung mit Auszügen „von Texten starker Frauen“, die ich teilweise auch sehr bewundere, Simone de Beauvoir zum Beispiel. Der Freund fand die Lesung überhaupt nicht feministisch, „es sei ja mehr um früher gegangen“. Ausgangspunkt war Corona gewesen. Ich hätte mich mit der vortragenden Frau danach ganz gerne noch länger unterhalten, aber so im direkten Gegenüber schien sie mir die Sprache eines fremden Planeten zu sprechen. Am Wein kann´s da noch nicht gelegen haben. Jedenfalls dachte ich, das mit Machismo und Feminismus, das stellt schon je nach Standpunkt sehr unterschiedlich dar.

Sehr viel sehr tolle Kunst in Zelten, und genauso begeisternde auf der Promenade. Straßenkunst ist nicht zu unterschätzen. Der Umstand, dass sie im Freien stattfindet und „in den Hut“ gespielt wird, tut der Kunst keinen Abbruch. Da war eine Tänzerin, die die Menge mitnahm auf eine Reise in unser aller Inneres und die mit spontanen Statisten aus dem Publikum eine atemberaubende Allianz einging. Da war ein Feuer-Künstler, dessen Show ich beeindruckend fand, waghalsig und gekonnt, die mich aber nicht so sehr von den Füßen riss und dessen Auftritt ich etwas aufdringlich fand. Nun gut, ich habe sie tagsüber gesehen und da hat man es als Feuerkünstler sicher schwer. Später habe ich erfahren, dass die beiden, Tänzerin und Feuerakrobat, zusammen mit ihren Kindern unterwegs sind. Was für tolle Lebensentwürfe es doch gibt! Da waren mehrere Paare aus Argentinien, lustige Clown*innen und eines, das mit dem ganzen Körper Kunstwerke auf abwaschbare Leinwände malte. Ein Zauberer gab „meinem“ Mädel einen Ball in die Hand, und sie sollte die Finger drum schließen und darauf pusten, und als sie die Faust wieder öffnete, waren erst zwei, dann drei Bälle darin. Wir staunten. Wir staunten auch über tanzende Stelzenfrauen, die grazil und leidenschaftlich Aufruhr, Zerrissen – und Zerbrechlichkeit und Vertrauen über die Köpfe hinwegtanzten. Eine andere Show endete mit Eichendorffs Kanon „Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort“. Ich liebe ihn.

Mein Mädel war nachgekommen. „Ihr erstes Festival“. Sie war beeindruckt und gefordert. Großwerden ist ja an sich schon schwer und bisweilen ein Buch mit sieben Siegeln. Und dann so ein Mikrokosmos. Da können die besten Shows in den Hintergrund treten. Sie hat lieber im See Fische regiert und mit Seifenproduzentinnen Bekanntschaft gemacht. Und wir haben jetzt viele pastellfarben glitzernde und duftende Seifen als Rose, Hase, Bär,… .

Es waren Tage voller Schöngeist und Menschenliebe. Schöne Menschen machten schöne Dinge. Und dabei waren sie durchaus nicht alle klischeehaft „schön“ – da gab es junge und alte, dicke und dünne, makellose und vom Leben gezeichnete – schön waren sie alle eher in so einer Art Wesenzug, einer Grundhaltung.

Nach zehn Tagen hieß es „vorbei“. Der Mikrokosmos seufzte wehmütig und packte sich selbst in seine Kisten.

Danach, auf meinem Verdauungsspaziergang, kam ich an einem sprudelnden Bach und Feldern entlang durch stillen Wald, sah Schmetterlinge und Mücken im Licht tanzen, sah sehr schöne und auch einen sehr kranken Baum und hörte Grillen zirpen, und ich ging so ziellos dahin und kam von ungewohnter Seite in ein mir fremdes Neubaugebiet, eines, das ich nur vom Namen und der Bezeichnung in der Zeitung her kenne; neu entstanden der letzten 10 Jahre so pi mal Daumen. Grad aus dem Wald heraus stand ich plötzlich neben einer Doppelgarage, davor ein Porsche, E, und auf der anderen Seite ein SUV, und ich ging die Straße entlang und betrachtete die Häuser, an einem hing ein Werbeschild für ein Architekturbüro, und ich dachte „meine Fresse, hier waren vermutlich ganze Legionen von Architekten beschäftigt, und dann kommt so eine Scheiße dabei raus!“: lauter weiße Wohnwürfel unterschiedlichen Formats inmitten lauter grüner Rasenflächen, unterschiedlich geschnitten und begrenzt, und aus jedem Quadratmeter schreit der Wettbewerb „größer-nobler-teurer“. Und das soll also der große Traum des Mittelstands sein! Je nach Geldbeutel und Karrieresprosse mehr oder weniger „gehoben“ oder auch „bescheiden“, aber immer würfelig, weiß-grün und sterbenslangweilig. Die Scheidungsraten in solchen Vierteln seien um gut ein Drittel höher als in anders gemischten, hab ich mal gelesen. Und dafür werden Flächen um Flächen versiegelt als gäb´s kein Morgen. Und ich lief so durch und fand´s so bescheuert und stellte mir vor, es gäbe Architekten, die neue Träume kreierten, grüne Biotope und Mehrparteienwohnen nicht nur für schicke Citys und hippe Vorzeigevorstädte, sondern auch fürs schnöde Land und poplige Kleinstädte ein neues Cool. Ich stellte mir vor  – weil es ja offenbar unbedingt ein Oben und ein Unten geben muss – die Erfolgreicheren oben, die Bescheideneren mittig, die Ärmeren ganz unten – mehrstöckig, mit Balkonen und Höfen, und dazwischen mit Gemeinschaftsräumen, je nach Lebensstandard und Generation, für jeden was dabei, und das Ganze begrünt zu allen Seiten und drüber und drunter, und mit Carsharing im Viertel und witzigen Bushaltestellen, an denen man gerne wartet. Ich stellte mir vor, es gäbe ein Zusammen des Mittelstands, der nicht nacheifert, sondern sich zusammentut auch mit den Armen und sich abhebt von den Superreichen, die sich noch so viel ignoranter breitmachen und auf jedem Kontinent mindestens ein Anwesen brauchen und das so großzügig bemessen, dass diese paar Krösusse ganze Landstriche in Dornröschenschlaf versetzen können, wenn der Jetset grad anderswo weilt, und die den Lebtag lang mit feudaler Selbstverständlichkeit zwischen ihren Bunkern hin und her jetten und von irgendwelchen Finanzjongleuren den Reichtum mehren lassen. SIE gälte es zu begrenzen. Und das stellte ich mir vor und dachte, das wäre gar kein „Weniger“, das wäre so viel mehr Leichtigkeit des Seins für alle und überhaupt für unseren ganzen Mikrokosmos Deutschland.

„Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort…“ Ach, Herr Eichendorff – welchen Traum wollen wir jetzt aufleben lassen, und wie lautet das Zauberwort?

Übers Glück zu Zeiten der Afd

Summerfeeling 2023

Manche Wochenenden tragen durch die ganze folgende Woche. Das vorletzte Wochenende war ein solches. Ich habe es die ganze Woche hindurch gespürt. Der Samstag am Mädelesbrunnen – ein Kinderfest und Bowlepicknick. So schön war es und der Ort so perfekt, dass jemand sagte, „das erzählen wir nicht weiter, sonst wird das hier überrannt“, und ich: „trotzdem! Der Platz ist wunderschön, und er hat mehr Aufmerksamkeit verdient“. Das ist ja mitunter Sinn und Zweck solcher Einladungen – diese Plätze zu beleben.

Junge Mädchen und alte Herren saßen auf Bänken verteilt und plauderten, die Kinder planschten, Grüppchen saßen auf Decken, überall stand Essen und lagen Spielsachen verteilt, die Bowle schmeckte lecker, alle waren fröhlich beschwingt und unter den riesigen Kastanien ließ sich die Hitze gut aushalten. So einfach und heiter kann alles sein; das Schwere war an diesem Tag leicht. Wer vorüberging, lächelte. Ein Unfall, Scherben, Blut und Notaufnahme Krankenhaus. Zum Glück ist eins in der Nähe. Herrje. Da gibt man sich so viel Mühe und stößt mit der Nase doch immer wieder auf Unvorsichtigkeiten, „nicht aufgepasst! Dies Risiko hätte man sehen können“. Das ist eine Erinnerung, die weh tut im Bild. Aber es gab ein anderes, wie ein Mann sich vor einer Frau niederwarf, deren Unterschenkel umarmte, sich anschickte die Füße zu küssen und sich überschwänglich bedankte „merci merci merci“. Da hat sicherlich die Bowle ihre Wirkung gezeigt, aber das Bild hat trotzdem was.

Sonntags genoß ich das Nachklingen des gelungenen Festes. Wir mussten nicht aufstehen, aber der Sommermorgen lockte.

Im Sommer ist das Aufwachen anders. In der Frühe zwitschern die Vögel ein Konzert, und wenn sie dann schweigen, scheint die Sonne, und frischer, leicht angewärmter Wind weht zum Fenster rein. Im Sommer ist das Anziehen reiner Spaß.

Nachmittags war der Bub verabredet, das Mädel machte einen Mittagschlaf.

An solchen heißen Sonntagen brütet die Stadt still vor sich hin. Dann und wann wird die Stille unterbrochen von Autos, Rollern und dröhnenden Motorrädern. Ich mag diese Unterbrechungen. Auch bei uns geht Lebensfreude mit Geräusch und bisweilen Lärm Hand in Hand. Nur wenn´s ZU laut wird, nervt´s. Die Tunerszene ist mir von daher lästig.

Ich traf eine Freundin und ging zu den Gemeinschaftsgärten im Nägelesgraben, wo Livemusik angesagt war. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich vertan hatte. Kaum wer schien unterwegs, der Busbahnhof glühte menschenleer, und der Spielplatz nebenan war unbespielt. Ihm fehlt der Schatten. Musik war auch keine zu hören. Erst als wir schon ganz nah waren, klang leise Stimmengewirr und eine unaufdringliche Gitarre, schließlich Gesang zu uns herüber. Wir setzten uns in den Schatten und lauschten. 

Ich kann Elena Seeger nur empfehlen. Witzige Texte voll warmherziger und kluger Beobachtungen und Gedanken, wunderbar unterlegt und sehr sehr schön gesungen.

Abends habe ich mir die gekaufte CD angehört, gekocht und die Hausaufgaben der Kinder begleitet, festgestellt, dass die Kombi so nicht geht, den Freund zu Hilfe geholt, der Mathe besser erklären kann, und mich selbst wieder Musik und Spaghetti zugewandt. Vor dem Fenster stand die Hitze in der Straße, die Nachbarin sonnte sich im Fenster mit Lockenwickler in den Haaren. Und ich weiß nicht wieso, aber mir fiel der Sommer in Sydney ein, wo Sonntagabende mit BBQ und einem Konzert im Pub das Wochenende beendeten. Jahrzehnte her. Das war eine wundervolle Leichtigkeit des Seins.

Dabei bin ich gar kein Grill- Fan. Man kann das essen, und es geht ja auch veggie und ohne Fleischberge, aber ich brauch das weiß Gott nicht die ganze Zeit. Eigentlich mag ich nur das Brimborium drum herum, oder den Anlass. Eine Freundin hatte neulich Besuch aus Amerika und ihm zu Ehren gab es also ein Sonntagabend-BBQ. Ich habe swabian potatoesalad mitgebracht, und eine der Amerikanerinnen sagt, she usually doesn´t like potatoesalad, but she likes „this one“. Hat mich sehr gefreut.

Das Schöne am Reisen ist auch Leute zu treffen und Neues zu erfahren. So gesehen lassen sich selbst die Reisen von anderen  genießen. Der Nationalfeiertag wird in den Staaten riesig gefeiert, mit Paraden, Feuerwerk und rauschenden Festen. Das ist sicher schön, aber im Grunde ist mir ganz schnuppe, dass man das hier so nicht handhabt. Mir ist dieses Nationalgedöns unangenehm. Ein europäisches Fest wäre vielleicht ganz schön.

Den Kindern würden die amerikanischen Halloweenbräuche gefallen. Die sind hier regelmäßig enttäuscht, weil sie oft barsch abgewiesen werden. Man könnte sagen, dafür gibt es bei uns das Maienstecken. Aber auch da verstehen sehr viele keinen Spaß mehr. Dabei sind auch in Amerika die Halloween-Regeln überarbeitet worden. „Some bad people did bad things“, sagte die amerikanische Freundin meiner Freundin. Deshalb ziehen die Kinder jetzt durch die Straßen, solange es noch hell ist, und wer keinen Besuch und nichts geben möchte, stellt eine umgedrehte Schüssel raus oder ein Schild, „Sorry, no candy“, und wird in Ruhe gelassen.

Die Arbeits- und Schulwoche hatte Höhen und Tiefen. Nicht immer lief alles glatt und rund, aber mit Sommer im Gemüt ist das leichter zu nehmen.

Der Bub kann den Beginn der Sommerferien kaum erwarten, das Mädel besucht Freundinnen und Freunde, und ich bin überrascht, wie viele einen Pool im Garten haben. Wenn dies ein neues „Normal“ sein soll, finde ich´s wenigstens komisch. Sie ist neun. Sie kann schwimmen. Und es gibt ein öffentliches Freibad.

Ich freu mich mit dem Mädel über ihren Spaß und will niemandem den persönlichen Luxus neiden, aber wir reden über Wasserknappheit und Klimawandel, und bevor auch nur ein Freibad schließt, plädiere ich für ein Verbot der Pools. In manchen europäischen Ländern und Regionen sind sie das bereits.

Die CDU/CSU hat das EU-Renaturierungsgesetz scheitern lassen, an dem sie zuvor mitgewirkt hatte. Plötzlich ist es nun realitätsfern und „zu viel Naturschutz“. Fragt sich, wer da realitätsfern ist. Oder wer als real nur die eigenen Vorteile anerkennt.

Und weil in Thüringen ein Afd-Fascho Landrat wurde, hetzt Merz nun umso mehr gegen die Grünen. Man fasst es nicht. Dieser Widerling zeigt der Afd noch den Weg und hilft auch den blödesten Populismus hoffähig zu machen. Der hat den Schuss nicht gehört.

Die CDU ist ein Haufen scheinheiliger, auf Eigennutz bedachter Karrieristen, denen nur der eigene Arsch heilig ist. Da hält man Bierseligkeit für Erleuchtung, und damit ist man sogar noch ätzender als die FDP, die im Feiern wenigstens mehr Fantasie zulässt. Im Übrigen handhabt man in der FDP Politik natürlich ebenfalls rein als Lobbyarbeit für die eigene Sache, und die größte Sorge dieser selbstverliebten Yuppies besteht darin, dass die Party irgendwann vorbei sein könnte. Mit weniger zufrieden sein, ist etwas, das sie prinzipiell nicht können.

Ich glaube, viele vergessen, dass das Wirtschaftssystem in Deutschland nicht „freie“, sondern „soziale Marktwirtschaft“ heißt. Und das ist erwiesenermaßen ein Erfolgsmodell.

Ich will mich nicht aufregen.

Ich habe einen Leserbrief als Antwort auf einen nach Afd-riechenden, anderen Leserbrief geschrieben, welcher sich unter anderem über fehlenden Anstand „der anderen“ im Land ausgelassen hatte. Mein Vater bekam daraufhin Anrufe von Leuten, die nach mir fragten, und er hat Telefonnummern aufgeschrieben, wo ich zurückrufen soll, „wenn ich mutig sei und mich der Diskussion stellte“. Und ich wundere mich. „Wenn ich mutig sei“ – was ist denn das für eine Ansage? Über eine freundliche Bitte um einen Austausch hätte ich evtl nachgedacht. Aber so eine Anmache? Aber sich über fehlenden Anstand von anderen mokieren.

Jedem seinen eigenen Vogel, sag ich immer. Auch ich habe meine Macken und Schäden, ganz bestimmt. Aber ich projiziere sie nicht auf andere, sondern mache sie zu meiner eigenen Aufgabe. Das sehe ich als Teil des vielfach eingeforderten Rechts auf Eigenverantwortung. Im Grunde nämlich fehlt die in den Vorstellungen dieser blöden Afd-Schädel.

Am Donnerstag war ich auf der Demo gegen den Aufmarsch der Afd-Faschos in der Stadthalle. War schon beeindruckend – so viel Polizei, so viele Demonstranten, und alles dabei von jung bis alt und unkonventionell bis gutbürgerlich, wenigstens da kann man sich also einig sein.

  • Und so viele Leute, die in die Stadthalle gingen.

Anderntags traf ich einen Bekannten, der auch auf der Demo gewesen war. Wir waren betroffen darüber, wie viele doch hinein gegangen sind. Vielleicht muss man nicht so sehr erschrecken, wenn man sich vor Augen führt, dass dieser Landkreis und die benachbarten locker eine sechsstelligen Bevölkerungszahl umfassen und eine volle Stadthalle dann kein Prozent ausmacht. Trotzdem – die Selbstverständlichkeit, mit der man da zu den Faschisten geht, war krass. Und „einfach mal anhören“ ist keine Begründung. Es genügen ein paar Zitate und Fernsehbilder um zu wissen, wes Geistes Kind man in der Afd ist.  „Wir sollten eine SA gründen und aufräumen“, Andreas Geithe, „Bescheidenheit bei der Entsorgung von Personen ist unangebracht“, Jörg Meuthen, „Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde“, Marcel Grauf, „Ich wünsche mir so sehr einen Bürgerkrieg und Millionen Tote. Frauen, Kinder. Mir egal. Es wäre so schön. Ich will auf Leichen pissen und auf Gräbern tanzen“, ebenfalls Marcel Grauf, oder „Wir müssen ganz friedlich und überlegt vorgehen, uns ggf. anpassen und dem Gegner Honig ums Maul schmieren, aber wenn wir endlich soweit sind, dann stellen wir sie alle an die Wand…“, Holger Arppe, alle Afd. Da kann ich doch nicht Offenheit signalisieren, auch nicht Gesprächsbereitschaft. Einfach nur NEIN! Bei allem Verständnis für durchaus nachvollziehbare Unzufriedenheit mit so manchem im Land – es geht hier nicht um „richtige“ und „falsche“ Themen, es geht um eine ganz und gar unmögliche, weil böse Grundhaltung.

Den einen oder anderen, der hinging, hat man gekannt. Und der Bekannte und ich fragten uns „wie gehen wir damit um?“

Faschistoide Weltbilder und Rassismus nicht salonfähig machen, heißt die Aufgabe. Und jetzt, ein paar Mal drüber geschlafen, ist mir sonnenklar – dann öffnen wir nicht die Salons dafür, keine gute Stube. Ich setze mich nicht an einen Tisch damit. Und wo es sich nicht vermeiden lässt, lasse ich mich nicht auf eine Diskussion ein, die auch nur ansatzweise das Gedankengut diskutiert. Es nährt sich von Zorn und Verachtung, und diesen Weg gehe ich nicht mal gedanklich mit. Und das müssen sie wissen. „Hier nicht“ – wenn Ihr so reden müsst, dann tut das anderswo, unter euch, hier hat das keinen Platz. Was haben die für einen Schaden? Was ist da so verkehrt gelaufen?

Ich kenne Sympathisanten und Anhänger. Und manche stehen mir nah, und damit rückt mir auch ihre politische Gesinnung näher als mir lieb ist – es sind alles Männer.

Einem fehlt jegliches Vertrauen in seine Mitmenschen. Das mag etwas mit seinem Start ins Leben zu tun haben, der nicht eben geeignet war, Vertrauen zu schaffen. Nun fügt er dem eigenen Misstrauen noch das der einschlägigen Internetforen hinzu, greift jeden Zweifel und jede abstruse Erzählung auf, die da kursiert und hält das für „selbst gedacht“.

Einer war früher in der CDU, gut gestellt und hatte die besten Chancen. Leider ist es ihm nicht gelungen, wirklich etwas draus zu machen, und er hat sich auch für keine der vielen tollen Frauen, mit denen er zusammen war, entschieden, nie irgendwie „ja“ gesagt. Heute ist er alleine und verbittert, findet, früher war alles besser, und er schwärmt von osteuropäischen Frauen, die die besseren, weil „noch echte“ Frauen seien.

Einer hat als Kind immer auf den Deckel bekommen, bis er gebückt lief und heute dem eigenen Kopf nicht traut, und so greift er jede Parole auf, die seine Emotionen anschwingt, und denkt nie weiter als bis zu dieser, nie in Zusammenhängen und Kontexten.

Einer hat im Leben schon mal komplett die Kontrolle verloren und ist dazu übergegangen, allen anderen dafür die Schuld zu geben, die ihn „wo reingeritten“ hätten. Er schüttet Hass und Verachtung kübelweise aus. Für den ist die Afd wie gemacht: toben, Schuldige suchen, das eigene Wohl als Schuld von anderen einfordern, und fertig ist das politische Konzept.

Die Afd spricht wenig Intellekt an. Aber konzeptionell ist diese  Partei schon verteufelt geschickt aufgestellt. Medien werden diffamiert, aber für die eigene Aufmerksamkeit missbraucht. Begriffe werden verdreht. „Widerstand“, „Faschismus“ – völlig verkehrt belegt. Sie betreiben Angriff als Verteidigung – noch bevor sie sich auf erwartbaren Vorwürfe selbst verteidigen müssen, werden diese dem Gegner gemacht.

Mit „Freiheit“ meint man Freiheit von den Zumutungen dieser Demokratie und Gesellschaft. Als gäbe es einen in sich geschlossenen „Volkswillen“. Der Wille Aussenstehender oder nicht Anerkannter gilt nichts. Das reaktionäre Frauen – und Familienbild bedeutet auch für die Freiheit von Frauen nichts Gutes. „Meinungsfreiheit“ nimmt man in Anspruch und fordert sie ein. Aber es existieren Pläne, wie im Falle einer Machtergreifung Presserechte beschnitten und Journalisten behindert würden. Der Paragraph der Volksverhetzung, dazu gedacht, Minderheiten zu schützen – die Afd verdreht ihn und führt ihn an, wo sie ein völkisches Ehrgefühl geschützt sehen will. Die „wehrhafte Demokratie“ soll wehrhaft sein, wo undemokratische Bewegungen sie angreifen. – Und die Afd benutzt die Wege der Demokratie, um sie zu zerstören. Man will nicht bessere Politik machen als andere Parteien. Man will ein anderes Deutschland. Eines, in dem die Gewaltenteilung  ausgehöhlt wird, die Justiz nicht mehr unabhängig ist, die Legislative dem eigenen Willen gehorcht und die Exekutive Unliebsames beseitigt.

Eine Demokratie muss auch aushalten hinterfragt zu werden, kritisiert, auf den Prüfstand gestellt. Ja.  

Aber selbst wenn diese Un-Partei unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, falschen Zorn schürend und falsche Stimmungen verbreitend, die halbe Bevölkerung irreführend, eine Wahl gewänne und eine Mehrheit fände – man dürfte sie doch nicht durchkommen lassen damit. DA muss die Demokratie wehrhaft sein. Es gibt gute Gründe, weshalb dieser Staat gebaut ist, wie er es ist, und es gibt gute Gründe, ihn zu verteidigen.

Zorn, Frust und Verachtung dürfen nicht regieren, nicht im Kleinen, nicht im Großen.

Ich will es mir vom Leib halten. Ich bin nicht mehr auf Twitter, das mir zu nervig wurde. Irgendwie haben sie einen Algorithmus geändert oder was  – ich war so schnell drin in den „bubbles“, mit denen ich interagierte. Das war wie Co-Abhängigkeit – ich konnte mich kaum entziehen. Voll anstrengend. Wenn ich was kommentierte, was ich falsch fand, bekam ich ganz viele ähnliche FalschFindTweets angezeigt – viel mehr als ich Sachen angezeigt bekam ähnlich derer, die ich gelikt hatte. Nicht gut.

Der Populismus ist eine Gefahr für die Demokratie. Der Klimawandel läuft ungebremst. Es ist zum Heulen. Aber ich will nicht. Wir tun das unsere dazu, damit nicht alles ungebremst in die Katastrophe rauscht, aber erste Aufgabe heißt „Freude“. Die Kinder sollen freudig ins Leben gehen. Ein bisschen Fasnet das ganze Jahr „jedem zur Freude, niemand zum Leid“. Und zur Freude „Liebe“. Ich sei eine Glucke, wurde mir neulich gesagt. Mag sein. Ich werd auch irgendwann aus dem Nest schicken, aber dann mit so viel Nestwärme im Bauch, dass es für ein ganzes Leben reicht.

Im Mai war der Sommer so unendlich weit weg, wie ein vergeblicher Traum. Jetzt so viel Sonne und Hitze. Ich weiß, es ist viel zu trocken. Die letzten Sommergewitter habe ich gefeiert. Es geht nichts über den Geruch von einem Wolkenguss auf heißem Asphalt. Und ich weiß, es müsste lange und ausdauernd regnen, damit die Erde möglichst viel aufnehmen kann. Aber wenn die Wolken sich verziehen, freue ich mich doch, wenn die Sonne wieder rauskommt.

Wir genießen diesen Sommer.

Ein Musik-Tipp

Elena Seeger

http://www.elenaseeger.de

Übers schlechte Gewissen

und über Äpfel, Nüsse und Schweinenackensteaks

Den falschen Apfel oder auch den Apfel falsch zu essen, kann fatale Folgen haben. Ihn nämlich abends zu verzehren, ist ganz verkehrt. Das hat irgendwas mit der Fettverbrennung zu tun. „Obst morgens, Proteine mittags, Fette abends; nach 18 Uhr gar nichts mehr.“ So! Wir naschen abends aber gerne. Und das hat mit unserem Feierabendgefühl zu tun. Und bisher hielt ich Obst für besser als Chips oder was „Richtiges“. Mir persönlich stünde der Sinn nämlich nach dick belegten Käseboten, gerne mehreren, mit Tomaten und Oliven. Essen ist gut fürs Gemüt. Das wissen auch die Kühe, die dauerkauen – und total gechillt sind – ich sehe da einen Zusammenhang. Natürlich habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn wir zu viel oder ungesund essen. Drum kam ich auf den Obstteller. Jetzt soll also auch der mit schlechtem Gewissen belegt sein, und ich muss überlegen, wie ich damit umgehe. Seelenfrieden oder Hunger. Genuss oder Vernunft.

Es ist ja eine heiße Kiste mit dem Gewissen. Das fiel mir in letzter Zeit öfter auf.  „Man soll ihnen kein schlechtes Gewissen machen!“ wird in öffentlichen Diskussionen gerne gefordert: Kreuzfahrt und Flugreise, XXL-Bratwurst, Luxuskarosse, Vollgas und Co sollen genossen werden dürfen, ohne dass irgendwer sich mokiert und mahnt. Spaßbremsen sind gemeiner als jeder noch so verschobene Despot. „Freie Fahrt für freie Bürger“, und jedem sein Schnitzel auf Mallorca. Und komm da keiner blöd. Da wird das schlechte Gewissen des Einen zur Aufgabe des Anderen. Der soll stillschweigend Zustimmung signalisieren. Und das finde ich dann auch schräg. Sollen jetzt alle unter den Tisch kehren, dass etwas schief läuft auf dem Planeten, damit ein paar verzogenen Luxusknilchen die Sause nicht verdorben ist?  Ich meine – sie dürfen ja. Manches ist verboten, mit guten Gründen, in anderen Ländern mitunter mehr als hier. Überall außer in Deutschland gelten Geschwindigkeitsbegrenzungen. In Dänemark dürfen keine Heizungen mit fossilen Brennstoffen mehr eingebaut werden, hab ich jetzt gelesen, und dort gibt es auch eine Luxussteuer auf Autos. In Frankreich werden keine privaten Pools mehr genehmigt. Dagegen darf man hierzulande sehr viel, und das obwohl jeder weiß oder wissen kann, wie dringend eine Veränderung des Lebensstils und des Konsumverhaltens ist. Das schlechte Gewissen, so man denn eines hat, das muss man aber schon selbst aushalten.

Ein schlechtes Gewissen ist ja nun nichts anderes als die Erkenntnis, wider bessres Wissen gehandelt zu haben. Es meldet sich der eigene Verstand. Und das ist erstmal etwas Gutes. Da kann man eigentlich ganz zufrieden sein mit sich.  

Es gibt gute Gründe, dem Gewissen zu folgen – und manchmal gute, es nicht zu tun. „Eine Handvoll Nüsse, ungeröstet und ungewürzt“ sei erlaubt, ernährungswissenschaftlich, abends. Da esse ich jetzt generell mit mahnender innerer Stimme. Aber ich lasse es mir schmecken. Die propagierten Sonnenblumenkerne will ich nicht. Die dürfen tagsüber in den Salat. Zum so essen sind sie mir viel zu unhandlich. Und für Hunger und Verzicht fehlt mir der Wille. Ich handle wider bessres Wissen, jawohl. Aber das mit guten Gründen. Genuss macht das Leben schöner, und in der Gesamtbilanz habe ich noch lange nicht so übertrieben, dass ich´s mir verkneifen muss, will ich meinen. Wir „passen ja auf“, wie man das so nennt, (wobei dies Aufpassen oft bloßer Vorsatz ist,  Plan  –  nicht Realität , so wie in der Politik, in der mit den ruhmreichsten Worten Unterlassen verbrämt wird). Trotzdem – wir machen unsere Zugeständnisse. Nichtsdestotrotz stehen jetzt „Erdnüsse in der Schale“ auf der Einkaufsliste. Die gibt’s eventuell zum Apfel dazu, mit Rosinen und „Käse light“ – diesen wegen der Gewichtsproblematik, die ich durchaus sehe. Aber geisteswissenschaftlich betrachtet, haben halt auch etliche andere Aspekte „Gewicht“, und Abwägen ist nicht nur eine Frage der Kilos. „Gewissen“ ist das Eine, „Bauchgefühl“ das Andere, und auf das kann ich mich durchaus verlassen.

Alles tiptop sei´s, sagt er,

und ich bin hin und her gerissen und weiß nicht, ob ich das gut finden soll.

Ist ja schön, wenn´s läuft. Aber er ist Verschwörungstheoretiker, bei dem Corona Teil des großen Reset war und für den es den menschgemachten Klimawandel nicht gibt. Seine Geschäfte laufen, der Rubel rollt, und familiär klinkt er sich aus allem aus, was nicht passt. „Klar“, denk ich – wenn man ignoriert, dann ist leicht „alles tiptop“.

Vielleicht ist auch das Familie. Aushalten, dass ein andres Mitglied Familie anders sieht.

Ich kann das nicht. Ignorieren. Ich würde manchmal gerne. Ich ringe um Leichtigkeit. Der Frühling ist da, aber bislang noch ohne Frühlingsgefühle. Was nicht heißen soll, dass ich mich neu verlieben will. Aber die Freude übers Sprießen und Blühen, übers große Erwachen, die blieb bis jetzt aus. Stattdessen drückt mir das Elend der Welt so sehr aufs Gemüt, dass ich kürzlich schon angesprochen wurde „du läufst, als trügest du das Gewicht der ganzen Welt auf deinen Schultern“. Mann ey. So was hör ich gar nicht gerne. Ich bilde mir was ein auf meinen notorischen Optimismus. Ich WILL zuversichtlich sein, und sei es wider bessres Wissen. Einfach weil alles andre auch nicht hilft. Aber es ist was dran – mir reicht ein Bruchteil der täglichen Nachrichten, um genug zu haben. Da braucht´s keine eigenen Baustellen dazu. Wenn da dann auch noch was kommt, ist´s schnell zuviel.

Ich bin fassungslos ob der zunehmenden Ignoranz für die Aufgaben der Zeit. Klimawandel gilt nicht mehr als heranziehende Katastrophe, sondern als „Wahn“ und „Hysterie“ von ein paar Wirrköpfen, die der Welt Kommunismus und Steinzeit aufs Auge drücken wollen. Jeder Klimaschutz ist grüne Zumutung.

Manche geben dafür der „Letzten Generation“ die Schuld, die die Stimmung so aufheize. Aber herrje, wir sind die letzte Generation, die mit heutigem Stand der Wissenschaft gegen den Klimakollaps was tun kann – rein objektiv betrachtet, haben sie einfach Recht. Und soo sehr abzugehen braucht man auch nicht ob ihren Aktionen. Die Kunstwerke, an die sich da geklebt wird, gehen den meisten am Allerwertesten vorbei, und Staus nimmt man im normalen Alltag auch als unvermeidbar hin. „Freie Fahrt für freie Bürger“ – ungestört quasi Luftlinie von A nach B – das ist ja nur ein Traum von ein paar abgehobenen Luftikussen.

Aber es sind diese Luftikusse, die derzeit die Richtung angeben und die alles mit Stumpf und Stiel verteufeln, was in eine sinnvolle Richtung ginge. Wenn es um den Flächenverbrauch geht und darum, dass nicht jede Generation ihre eigene Eigenheimsiedlung bauen kann, ist das nicht Einsicht und Vernunft, sondern ein „ideologischer Kampf der Grünen ums Eigenheim“. Wenn es um Massentierhaltung geht und um den Fleischkonsum, dann ist jeder Ansatz, diesen zu drosseln, Ideologie und Verbotskultur. Als wären nicht unendlich viele Verhaltensweisen verboten wegen mangelnder Allgemeinverträglichkeit. Ideologie ist links und grün besetzt und basta.

„Der Markt löst all unsere Probleme, wenn wir ihn nur frei und unreglementiert agieren lassen“ : das sind für mich die eigentlichen Ideologen – die, die nicht mal bereit sind auch nur zu reden über die Tücken eines Wirtschaftssystems, das immer neue Bedürfnisse schafft, für das der Wohlstand nie „genug“ ist, und das bloß „mehr“ und „Wachstum“ kennt. Wenn das mal nicht ein Tanz ums goldene Kalb ist. Ich neige seit der Erstkommunion der Tochter zu religiösen Metaphern. Nichts soll sich wirklich ändern – unser Leben dreht sich ums Auto, bauen und heizen will man dürfen wie in den goldenen Fünfzigern, ohne Rücksicht auf Verluste, und reisen und essen will man auch wie eh und je. Klimaschutz – „nur wenn´s besser und billiger ist“, schrieb einer auf Twitter, in das ich nur noch reinschaue wie man ein Thermometer wo reinsteckt – um zu sehen, wo es überkocht und welche Sau gerade durchs Dorf getrieben wird. Ich halt´s eigentlich kaum mehr aus, und die Diskussionen mit Klimaleugnern sind mir zuwider. „Weniger“ ist nicht denkbar; als ob uns mit unserer Geburt lebenslanger Sonnenschein versprochen worden wäre. Aber die „Letzte Generation“ ist „wohlstandverwahrlost“, und wer „Verzicht“ im Wort führt, ist bestenfalls naiv.

„Das haben wir uns verdient“, wird entgegen gehalten, wo um die Statussymbole des Wohlstands gefürchtet wird. Als ob nach uns nicht auch fleißige Leute zur Welt kämen, die eine Chance auf „Verdienen“ verdienen. Und als ob diese heutigen Verdienste nicht vollkommen fiktiv und mitunter absurd überhöht wären.

Ich habe den, für den alles tiptop ist, gefragt, was er denn an Maßnahme tolerieren würde: „Plastikverpackungen verbieten“. Gut. Da bin auch dafür. Aber ob das klimaschutzmäßig der Riesenbringer ist – dahingestellt. Ich bin sehr für #Technologieoffenheit – jede Technologie an ihrem idealen Platz. E-fuels sind eine tolle Technik, aber als Antrieb für massenhaften Individualverkehr sicher nicht mehr klimaneutral. Wenn „der Markt“  so agiert, dass neue Möglichkeiten nicht eingesetzt werden für mehr Nachhaltigkeit, sondern er alles nur abklopft auf das Spaßpotential für die, welche es sich leisten können – und das müssen nicht viele sein – wie beim Auto – man setzt gerne auf das Luxussegment – dann muss man „den Markt“ doch hinterfragen und mäßigend lenken. Ganz ohne Ideologie.

Ich versteh´s nicht. „Freiheit!“. Ich kann´s nicht mehr hören.

Döpfners Entgleisungen wundern mich kein bisschen. Wie viele seines Schlags schaut er nach unten und verachtet rundweg. Nur leider macht er als Chef des Springerhauses damit Meinung. Wenn er in seiner Position den Klimawandel gutheißt, weil er „warm“ für besser hält, weiß man, was die Stunde geschlagen hat: Klimaschutz ist so was von in der Defensive – die Widerlinge geben den Ton an. Dass andre bei dem prima „warm“ in dann nicht mehr bewohnbaren Landstrichen wohnen – deren Problem. Gerade ist wieder ein Boot mit Zig Flüchtlingen gekentert, nur 5 haben überlebt.  Was soll´s er- deren Problem. Europa macht die Grenzen dicht, und gut ist.

Döpfner ist ein böser Mensch. Wie Merz. Und wie Lindner, den Döpfner unterstützt. Ein FDP-Mann hat in einer Twitter-Diskussion über zu viele „Lowperformer“ geklagt. Grundgütiger. Es gibt also  „Highperformer“ und „Lowperformer“. Das Leben ist eine Performance, und es geht darum, eine gute Figur zu machen. Und „Freiheit“ ist die Rücksichtslosigkeit, mit der die einen ihr Glück zum Leid der anderen schmieden. Je größer Druck und Raubbau, um so mehr gehen daran zugrunde. Eine Gesellschaft, die nur noch Sieger will und keine Schwächen und kein Scheitern duldet. Wer will so leben?

Die Erstkommunion ist gefeiert. „Bei denen sein, die an Gott glauben“, hatte das Mädel gewünscht. Sie lebt in einem katholischen Umfeld – es war dies, was sie meinte, und so sollte es sein. Ich halte Religion zwar für etwas, das man eigentlich, wie Medizin, die nur in der richtigen Dosis hilft, nur mit Gefahren und Risiken erklärendem Beipackzettel verabreichen sollte. Aber bitte – in der richtigen Dosis kann es Halt und Rahmen sein. Auf dem Weg zur Kommunion habe ich allerdings gemerkt, dass mir das Protestantische doch näher ist. Es wird weniger Brimborium veranstaltet, stattdessen hat die Predigt einen zentralen Stellenwert und ohnehin mehr Gegenwartsbezug. Im katholischen Glauben, so scheint´s, hat man alles richtig gemacht, wenn man sich an die Riten hält. So ist es leicht, ein guter Christ zu sein und sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Die Protestanten muten einander mehr Eigenverantwortung zu, und die wird auch erklärt.

In der evangelischen Karfreitagspredigt hat die Pfarrerin den Kreuzweg als das Leiden Gottes am Elend der Welt erklärt. Gott brauche unseren Beistand. Das ist doch ein Auftrag, den man verstehen kann. „Seid gut zueinander!“ In der katholischen Ostersamstagsandacht ging es – und das sei traditionell die Ostersamstagsliturgie – um den Auszug aus Ägypten. Wo der Zusammenhang zur Auferstehung liegt, blieb entweder gänzlich unerklärt oder war so nebenbei eingewoben, dass es leicht war zu überhören. Man sah sich selbst als „das auserwählte Volk“, was ich für nicht mehr zeitgemäß und nicht sehr klug erachte, und dass die ägyptischen Verfolger samt und sonders im Meer ertranken, wurde quittiert mit „Herr wir preisen dich“. Nach ein paartausend Jahren könnte man die Schadenfreude auch mal überwunden haben, meine ich. Dann wurden alle Heiligen namentlich angerufen „steh uns bei“ und sämtliche möglichen Leiden aufgezählt, „erbarme dich unser“. Es geht um die eigene Befindlichkeit; Eigenverantwortung diesbezüglich Fehlanzeige.

Vielleicht verstehe ich es auch falsch.

Ich finde den katholischen Pfarrer nett, und bestimmt ist er ein sehr gescheiter Mann, der mehr drauf hat als den Zeremonienmeister in einem zweistündigen, für mein Empfinden vollkommen absurden Ritual zu geben. Ich überlege, mal an einem stinknormalen Sonntag in die Kirche zu gehen und zu hören wie da gepredigt wird – ob es nicht doch etwas hergibt. 

Ich bin am Schimpfen. Grad macht mich das Treiben in der Welt so grantig, dass ich sofort ins Schimpfen komme. Ich kann das selbst nicht leiden. Ich will´s doch gut sein lassen.

„Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.“ Martin Luther wird das zugeschrieben. Das ist vielleicht nicht die schlechteste Idee. Wir wollen eh in Opas Garten einsteigen. Apfelbäume hat´s da, aber Himbeersträucher nicht. Und eine Magnolie wäre auch schön. „Narren hasten, Kluge warten. Weise gehen in den Garten“.  Das habe ich im russischen Viertel in Potsdam gelesen. Auch nicht schlecht. Die Kleingartensiedlung – immer undenkbar gewesen. Jetzt will ich es angehen. Ich nehme es mir fest vor. Und dann klappt´s bestimmt auch mit dem inneren Frieden und den Frühlingsgefühlen.

„Frieden“ scheint ein provokantes Wort

Und damit tue ich mich echt schwer.

Ich kann nichts Schlechtes darin sehen, Frieden zu wollen. Ich will den mit den allerbesten Gründen. Auf einer Demo war ich deshalb nicht und habe keine Fahne mit Friedenstaube und Peace-Zeichen geschwenkt, nicht bei der Wagenknecht-Schwarzer-Demo neulich in Berlin, und auch auf keiner anderen. Wie bei Corona stimme ich manchen Forderungen der Proteste zu. Ich habe das Manifest der beiden Frauen unterschrieben, das mit „Wir müssen reden“ betitelt war. Es ist darin nicht die Rede von einem Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine. Was ich auch schwierig fände. Man hat die Ukraine ja geradezu ins offene Messer laufen lassen – jetzt soll sie sich auch verteidigen können. In dem Manifest geht es um ein Ende der Eskalationsspirale, dieser Kriegstreiberei, die ich auch so empfinde. Das konnte ich mit gutem Gefühl unterschreiben. Zu einer Demo kann ich trotzdem nicht. Ich kann nicht mitgehen, wo man mit Rechten geht.

Vielleicht verkläre ich. Ich weiß es nicht. Ich hatte damals bestimmt eine jugendliche, bisweilen einseitig betrachtende Brille auf. Aber in den 80ern, als es um den Nato-Doppelbeschluss ging, als alle auf der Menschenkette waren und vor den Toren Mutlangens usw, da ging es einfach um dies –  um die Stationierung der Mittelstreckenraketen, und keiner hat irgendwelche Banner hochgehalten und Parolen geschmettert, worum es ihm sonst noch so ging. Keiner wollte irgendwas umstürzen, keiner hat gehetzt und polemisiert. Auch auf den Kundgebungen war der Ton ein anderer; Frieden hat sich nach Frieden angehört. Von der Menschenkette fuhren wir Kanon singend nach Hause; die Melodie habe ich immer noch im Ohr.

Heute klingt auch der Wunsch nach Frieden aggressiv. Überhaupt scheint die Zeit mir über jedes verträgliche Maß hinaus aggressiv. Der Umgangston ist vielerorts konsequent barsch und rau. Im Nahverkehrszug habe ich schon halbe Schlägereien erlebt.  Im Schulbus geht´s bisweilen zur Sache, fliegen Schulranzen und wird geschubst und gepöbelt. Und wenn der Bub mit seinem Freund auf dem Spielplatz war, kommen sie häufig heim und erzählen von Beschimpfungen, Drohungen und wüstester Anmache.

Als ob mit einem Mal alle verlernt hätten, sich konstruktiv auseinanderzusetzen. Ich versteh´s nicht. Es macht mir auch Angst. Die Warnungen zu mehr Klimaschutz werden immer dringlicher; es geht um ein „Ende der uns bekannten Zivilisation“. Und wir streiten wie die Berserker ums heilig Blechle, um Autobahnen, Schnitzel und Gendersternchen und unterteilen in irgendwelche komischen Völkergrüppchen. Wir Deutsche, die Syrer, die Afrikaner, die Afghanen, die Ukrainer – wir sind halt alles Leute, die ein gutes Leben wollen.

Es ist so absurd. Einigen geht es nach wie vor darum, rauszuholen, was rauszuholen geht. Über die FDP will ich nicht mal mehr den Kopf schütteln. Was die abzieht, spottet jeder Beschreibung. Die träumt von der alles rettenden Technik, die alle Probleme löst, ohne dass irgendwer auf irgendetwas verzichten muss. Traumtänzer! Die überlassen ungerührt den Nachkommen den großen Schock bis hin zu einer gut möglichen totalen Dysfunktion. Das ist wider jedes bessre Wissen gehandelt. Und dann treibt man erstmal Krieg als lebten wir im Mittelalter und die Erde wäre eine Scheibe. Und der liebe Gott wohnt obendrüber und wird es beizeit für die seinen wieder richten.

Wenn dieser Krieg vorbei ist und es um den Wiederaufbau geht, dann hat man nicht die Goldenen Fünfziger. Dann ist man mitten in der Klimakrise und hat mit dieser noch ganz andere Probleme. Ich habe mich ausgeklinkt; Vogel-Strauß-Prinzip. Im Grunde habe ich gar keine klare Haltung zu diesem Krieg. Ich kann für keine Seite uneingeschränkt sein. …..

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„Immer wenn´s am schönsten ist“- Ein Fasnetsrückblick

„Immer wenn´s am schönsten ist, ist es vorbei“, heult das Mädel und ist empört, wie kurz diese Tage doch sind im Vergleich zu den langen, zähen Schulwochen. Fasnet ist schon auch Kinderparadies – alle verkleiden sich, Lehrer werden ihres Amtes enthoben – was oben ist, ist unten und was unten oben, zumindest scheint es so – , im Kleidle sind alle inkognito, und ohne braucht man nur die Hand auszustrecken und es regnet Süßigkeiten. Heaven, was kann man mehr wollen.

Ich versteh sie und bin doch selbst ganz zufrieden, dass sie vorbeigeht, die Fasnet. Schön war´s und anstrengend. Lange hielte ich das gar nicht aus. Dabei war es eine Fasnet ohne Stress; ich war so gut vorbereitet wie nie. Ich hatte zeitig angefangen, fachfraulichen Rat und fand es im Übrigen auch angenehmer, mich mit Narrenbuch und dem Richten der Kleidle zu befassen, als mit täglichen Katastrophenmeldungen. Schon krass eigentlich, wie viel Raum diese 5. Jahreszeit einnimmt.  Fasnetsbälle habe ich keinen einzigen besucht; „wenn deine Kinder groß sind“, tröstete eine Freundin. Mal schau´n. Sie sollen sich beeilen, sonst bin ich zu alt dazu. Bliebe noch das jährliche Konzert der Stadtkapelle. Da war ich, nachdem ein Schmotzigenfreund dafür Werbung gemacht hatte, dieses Jahr das erste Mal. Uns gegenüber saß ein älteres Ehepaar das schwärmte „so toll war´s noch nie!“. Die Begeisterung brach ihnen aus allen Poren, und meine Freundin und ich, wir fanden´s auch klasse, ein sehr lustiges, musikalisch gekonntes, abwechslungsreiches, fantasievolles, rottweilspezifisches Fasnetsspektakel. Ich hatte eine Karte übrig und meinen Vater eingeladen. Der war ganz im Glück und rockte zwischen Tisch und Wand.

Der Schmotzige kam und mit ihm der abgesehen vom Beginn der großen Ferien liebste Schultag der Schüler*innen, da machen meine, obwohl noch zu klein für die große Sause in der Stadt, keine Ausnahme. Die große Sause sah gut aus dieses Jahr, kein Scherbenmeer, kein exzessives Komasaufen, stattdessen Musik, Tanz und ausgelassene Party. Und natürlich lustige Kostüme. Das witzigste habe ich allerdings am Fasnetssamstag im Schwarzen Lamm gesehen: Zauberstab, Feenflügel und ein Schemel auf dem Kopf, der kein Schemel, sondern Tisch sein wollte – der Name des Kostüms „Feetisch“.

Wir waren am Schmotzigen als „Hitparade“ mit Dieter Thomas Heck unterwegs und hatten von stürmischem Applaus und frenetischen „Zugabe-“Rufen bis hin zum Spielen vor vollkommen reglosem Publikum alles dabei. „Man ist sich gar nicht sicher, ob sie echt sind“, hab ich zu meiner Freundin gesagt. War schon ein bisschen spooky. Später war sowieso der Stecker gezogen – ihr versagte die Stimme. Ins Spital kamen wir so nicht, was ich schade fand. Ich hätte dem frischgebackenen OB schon gerne unter die Nase gerieben, wie schoofel ich finde, dass der Klimamanager schon kurz nach der Wahl nicht mehr wie im Wahlkampf großmundig angekündigt „direkt unterm OB angesiedelt“  sein sollte. „Es wird koi ´weiter so´ gäba, war versprocha. Es einzig „Neue“ bis jetzt sen allerdings Tempo und Leichtigkeit, mit dene Vorhabe über Bord gworfa werded. Dr Klimamanager hot solla direkt unterm OB ahgsiedelt sei. No hot der im Gemeinderat gfrogt, wie mers do gern hett, und die alte Herra hen gmoint, des breicht es it – des duads im Fachbereich 5, mit Isoliera on Zeig ka no ebber ebbes verdiena, drieber naus bassiert nix, on damit war´s gschwätzt.“ Und zu „Aber bitte mit Sahne“ : „Der Klimaschutz hot solla Chefsache sei; Mhmhmh oh yeah; doch so stoht dr Ruf für seine Ziele net ei; Mhmhmh oh yeah; die CDU, dia isch dagega, da muass der Ruf it lang überlega. Was goht mih mei Gschwätz von geschdern scho an? Schorle a mih na – Aber bitte mit Sahne“. Und so schön gesungen hat der Ludo Nirgends das. Schade. Aber sei´s drum – man wird vielleicht noch Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen. Ich bin jedenfalls nicht die Einzige, die das krumm nimmt.

Wenigstens kam ich durch den frühen „Feierabend“ in den Genuß, selbst noch ein paar Gruppen zu sehen. „Plombazieher“ mit Omikron, Delta und Co fand ich mega, voll schräg. Und dann wurde die Nacht wieder lang mit Oberflächlichkeiten und Tiefgang, Leichtsinn und Tragödie.

Wie okay alles doch ist. Wie schön es sein kann, selbst in diesem Endzeit- und Katastrophenszenario. Man schämt sich fast. „Nobel geht die Welt zugrunde“. Mancher Spontispruch stimmt halt.

Ich habe den getroffen, mit dem ich am Schmotzigen auch schon rumgezogen bin, den ich nicht oft, aber auch sonst manchmal treffe, und der gerade zurück war aus Afrika, mit Daniel, dem 5-jährigen Jungen mit Tumor, welcher auf die Atemwege drückt. Wenn er nicht operiert wird, wird er ersticken. Man sammelt jetzt. Aber was, wenn die Spenden nicht reichen. So eine Behandlung übersteigt schnell jeden vorgestellten Bereich.

Ein anderer stand noch dabei, und es ging um die sich irgendwie doch als Realitätssinn verbrämte Abgebrühtheit „man kann nicht alle retten“. Ich fühl mich mies dabei. Es gibt Millionen schwerkranker Kinder. Das stimmt. Aber da gibt es „diesen magischen Moment“, sagte der, der ihn erlebt hat, „da kannst du nicht unbedingt vor dem Einen stehen, dich umdrehen, gehen und es seinem Schicksal überlassen“. Das glaube ich gerne. Wiederum ist auch nicht zwangsläufig dem Schuld zu geben, der geht. Vielleicht ist Bleiben eine Aufgabe, wie man sie nur ein einziges Mal im Leben stemmt. „Wer nur einen Menschen rettet, rettet die Welt.“ Ein Ausspruch aus dem Talmud, den ich gut finde. ……

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„Alles gut“ – Jedem seinen eigenen Vogel

Das Fest ist gefeiert, und eigentlich wäre jetzt durchatmen und die Pause „zwischen den Jahren“ genießen schön, wenn alles einen Gang runterschält. Es ist ja so im Großen und Ganzen irgendwie doch „alles gut“. Weshalb es also nicht einfach mal gut sein lassen. Aber im Detail steckt halt doch ein Ringen um ebendies „gut“ darin. So geschieht mein „zwischen den Jahren“  im seltsamen Nebeneinander von Slo-mo und Zeitraffer, und ich weiß nicht, ob mir nur alles so dichtgedrängt vorkommt und ich mit meinen Erwartungen und Plänen daneben liege, oder ob es wirklich so ist. Anscheinend aber bin ich nicht die Einzige, die so empfindet.

Für Vorweihnachtsfreude hatte ich wenig Sinn dieses Jahr. Das Weihnachtsfest der Maxi-Kolbe-Schule war ein rarer, schöner Moment. Das Mädel singt im Chor, und ich war hinterher ganz dankbar darum, dass ich quasi gezwungen gewesen war, hinzugehen. Ich fand´s toll. Mit viel Gesang und zauberhaften Lichtspielen. Voll schön. Es ging um Licht und Liebe, darum, dass kein Kind zur Welt kommt und weiß, was Hass ist – den lernt es unter ungünstigen Umständen erst später – dass jedes aber sofort Liebe erkennt. Liebe ist der Natur des Menschen viel näher. Das ist ganz  meine Parole. Mit Liebe ist alles besser. Manche finden „Bitte“  sei das Zauberwort. Meines ist „trotzdem“. Trotzdem lieben. Jeder hat seinen eigenen Vogel, sag ich immer, mindestens einen, viele mehrere. Solange die nicht gemeingefährlich sind, ist das halb so wild. Wobei nicht jede Zumutung als „gefährlich“  gelten kann. Die Zumutungen gehören mitunter zum „trotzdem“. Nicht alles läuft immer rund und ist trotzdem gut. Ich habe mich mit einer Mitmutter unterhalten darüber, wie schwer die Hilflosigkeit zu ertragen ist, mit der wir das Altwerden der Eltern hinnehmen müssen, auch da, wo sich tragische Elemente hineinschieben. „Je oller je doller“, das gilt auch für die Vögel. Und an Weihnachten fliegen auch sie gerne himmelwärts und richtig hoch. „Das Fest wird schön werden, so oder so!“ haben wir uns einander Mut zusprechend verabschiedet. Und das war es dann auch, schön, aber nicht rund.  

Weihnachten war anders dieses Jahr. Oma kommt unsere Treppe nicht mehr hoch, deshalb waren wir mittags dort. Das war chaotisch, aber auch sehr nett, und das obwohl es just an diesem Heiligen-Abend-Tag einen innerfamiliären Bruch gab, mit dem ich so auch nicht gerechnet hätte. Die liebe Familie – manchmal bin ich überrascht, was da alles möglich ist.  Ich hatte gedacht, ich kennte die Vögel meiner Nächsten. Das war ein Irrtum. Von manchen hatte ich keine Ahnung. Und wer weiß, was da noch alles brütet.

Da wirft einer an Heilig Abend aus der Ferne einen Bettel hin, von dem ich behauptet hätte, dass der gar nicht hinzuwerfen ist, so wie ich ja nun immer zb „Eltern“  bin, egal was passiert und wie ich dazu stehe. Weil ihm seine eigene Geschichte heuer im Weg ist und jetzt alle so tun sollen, als wäre sie nie geschehen, und weil die Eltern eine Türe aufmachen, die er streng verschlossen hält, durch die er einst aber selbst gekommen ist. Unsere Eltern haben IMMER anderen die Türe aufgemacht, das hat sich nicht geändert und muss es auch nicht, an Festen, bei denen es um Gastfreundschaft geht, schon gar nicht. Und dann regt er sich auf, dass keiner mitzieht. „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ – find ich blöd, und selbst die Bibel hat nicht in allem Recht. Auch als loyal Liebende muss ich nicht bei jedem Mist dabei sein.

Ich habe mich über Opas Dickfelligkeit und Ignoranz schon so aufgeregt, dass ich in einer Lautstärke hätte schreien wollen, die man am Nordpol noch hört. Hier fand ich diese Dickfelligkeit nun ganz brauchbar – wir nehmen zur Kenntnis und warten ab, was die Zukunft bringt.

Von den Großeltern ging´s zum Familiengottesdienst in der Predigerkirche, wie in eigenen Kindertagen. Ich hatte es mit den Kindern vor einigen Jahren mal versucht, was ein Desaster gewesen war. Es war nicht unsere beste Zeit gewesen, und den Kindern mangelte es an Aufmerksamkeit und Sitzfleisch. Es hat mich eigentlich gewundert, dass wir nicht hochkant rausgeflogen sind. Die mitleidigen Blicke der Banknachbar*innen haben allerdings Bände gesprochen, und eine Frau vor mir hat sich umgedreht und mir sanft zugeflüstert, ihre Enkelin habe sich schon übergeben, so überdreht sei sie gewesen. Und ich schluckte und dachte „prima, das also ist die Kategorie, in der wir uns hier bewegen“. Fortan haben wir die Geschichte mit Gästen zuhause selbst gespielt. Jetzt aber war Zeit für einen neuen Versuch. ….

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Über die Sehnsucht nach adventlicher Besinnlichkeit, Tierschutz und über fleischloses Essen an Rottweils Schulen

Mir war schwer ums Herz. Der November ist der eigentliche Trauermonat; im Dezember soll der Advent das Gemüt mit Frohlocken erhellen. Aber noch wirkt der nicht, wie er soll. Es läuft alles, aber es holpert auch. Es läuft schwerer als es meiner Meinung nach müsste. Manchmal legen wir Zweibeiner uns schon unnötig Steine in den Weg und machen einander das Leben schwer. Ich bin bisweilen ein bisschen aggro. Eine Freundin vermutete schon wechseljahrsbedingte Stimmungsschwankungen. Aber ich weiß nicht. Die Wechseljahre sind bis dato symptomlos an mir vorübergezogen. Dagegen sehe ich stets den Auslöser meines Zorns, der den Zorn wohl rechtfertigt. Aber ich müsste halt auch nicht ganz so aufdrehen. Ich tu es trotzdem – und brauche hinterher so viel Nerven mich abzuregen und mir den eignen Zorn zu verzeihen, wie ich vermutlich gebraucht hätte, ihn zu unterdrücken.

Et kütt wie et kütt, und manchmal kütt et einfach über mich.

Am Morgen früh aufgestanden und Holz geholt für die geplante Katzenkletterwand, dann die Werkstatt organisiert, in der ich´s  sägen und schleifen kann. Anschließend einkaufen. Ich habe den ganzen Tag gefroren. Die Heizung war aus. Ich war ja eh kaum zuhaus, da tut´s zur Not auch ein kurzes Brot mit kalten Fingern im Stehen. In früheren Wintern ging das leicht. Ich spüre gerne die winterliche Kälte im Treppenhaus, Atemfahnen am Morgen und sehe Eisblumen an den Fenstern. Ich habe immer gerne so gewohnt, dass man im Winter die Jahreszeit auch beim Wohnen spürte. Diese wohltemperierten 24 Grad jahrein jahraus finde ich tröge. In diesem Krisenwinter neige ich bisweilen dazu, die Kälte als Zumutung zu empfinden. Das finde ich von mir selbst bescheuert.

Da kam der Anruf. Das Tierheim sagte ab. Der Termin zum Abholen hatte schon gestanden. Jetzt dies – wir sind kein Haushalt, in den man Katzen geben kann. Das saß.

Ich habe sofort in meinen Gedanken das Mädel herzzerreißend weinen und wehklagen gehört und in vorauseilendem Mitleiden selbst ungebremst mitgeheult, mit ihren Worten, „ach, wär doch nur Jazz noch da.“

Der Tag war längst entglitten. Aber was sein muss, muss sein. Ich musste mich beeilen. Auf dem Friedhof war noch der Kürbis vom Oktober. Ich hatte Grabschmuck und Kerzen gekauft, es dunkelte schon. Jetzt aber los. Ich ging an dem Grab vorüber, das ich stets passiere, gleich bei der Aufbahrungshalle. Ich gehe, obwohl es viele Wege gäbe, immer diesen und guck auf dieses eine Grab – ein Einzelgrab mit schlichtem, schon verwittertem Holzkreuz, das Foto einer alten Frau daran, die blanke Erde mit traurigem Unkraut fleckig bedeckt, dazwischen ein paar dünne Rosenzweige eines Strauches, der nicht recht weiß, ob er wachsen will oder nicht. Und immer denke ich an die junge Frau, die mal davorstand, so schmerzerfüllt und verzweifelt heulte und in einer mir fremden Sprache der Frau im Grab viel zu erzählen hatte. Ich verstand nicht den Inhalt, aber es klang nach Trauer, riesigem Schmerz und schwerer Schuld….

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