Old Stuff

Rottweil ist überall

Nizza März 2019

Ein früher Sonntagmorgen in Rottweil.

Die Hauptstraße strahlt rosa.  Meine Schritte, den Wind vom Hochturm herab und  flatternde Tauben.  Die Stadt schläft noch.  In diesem Moment will ich nirgends anders sein. In diesem, und in den nächsten 10 Millionen auch nicht. Ich bin zum Frühstück eingeladen. Und ich gehe mal davon aus, auch dieser Kaffee ist mit Liebe und savoir-vivre gekocht.  SO ist Heimkommen geradezu berückend.

Grade komme ich zurück von einer Woche Nizza. Eine Woche Riviera und Alpes maritimes. Der Koffer steht noch in der Diele, der Mantel ist nicht ausgezogen.

Schee war´s.

Sonnig. Windig. Wohlriechend. Leichtlebig. Vielfältig. Charmant. Interessant. Berührend. Aufmischend. Steil. Schrill. Müde. Nass. Lecker. Freudig. Irritierend. Reich. Abgefahren reich. Euphorisch. Und verschnupft. Komisch. Und vertraut. Ja, das auch.

Bisweilen bildete ich mir ein, Rottweiler Gesichter begegnet zu sein. Wie im Traum. Ich sah eine Andrea, einen Jürgen, einen Stefan, einen Karl, und das sind längst nicht alle. Und stellenweise roch und klang etwas nach ´daheim´, und schlug einen Bogen.

Und dann wieder nicht.

Die Busfahrer waren freundlicher, und wenn ich irgendwen irgendwas fragte, eine Passantin nach dem Weg, die Verkäuferin nach der richtigen Kasse, den Wirt nach dem Preis – egal, was – es gab keine Erklärung ohne charmante Einlage, keine Antwort, die nicht zum Lachen oder Lächeln gebracht hätte. Balkone gingen nach vorn, öffneten sich der Stadt, und selbst Neubauten, zumindest jene in mehr oder weniger Zentrumslage, wurden Schnörkel, Bögen, Türmchen und Firlefanz gegönnt.  Dafür waren die Spielplätze ein Bild des Jammers.

Mauern waren  – auch dort – zum Durchfahren dick, nach ´alt´ gab es immer ein ´noch älter´, und es gab keinen Stein ohne Geschichte und keine Floskel ohne Bewandtnis.

Aber Bunker waren  in den Berg gebaut und eigentlich auch keine Bunker, sondern Höhlen hoch oben. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie man da hinaufkam, in der Eile, beladen mit allen, die den Weg nicht von alleine schafften und außerdem noch mit dem Notwenigsten an Hab und Gut.  

Und auch dort schützten Mauern  längst nicht alle.

Die einen schlafen in Hauseingängen, und das sind sogar ziemlich viele. Die anderen schnappen sich die schönsten Flecken an der Küste, bepflastern sie mit grandiosen Villen und Parks, und die sind wirklich grandios – reich will man sein, wenn man das sieht – und versetzen ganze Küstenabschnitte in Dornröschenschlaf, weil es wohl mehr ums Haben geht, als ums Bewohnen und Beleben.

Ich bin bezaubert, und  beeindruckt, und muss kurz in mich gehen, und stelle fest, es stößt mir auf.

Es müssen weiß Gott nicht alle gleich viel haben. Aber in diesem Verhältnis stimmt etwas nicht. Und dies ist nur ein Ort, an dem es sichtbar wird – stimmen tut es auch anderswo nicht.

Den Moment lieben will ich trotzdem. Das Schlendern und Gucken. Und das Liegen am Strand, wo Wellen mit Flugzeugen um die Wette grollen.  Hier sind es eben  Palmen, die sich im Wind wiegen, und sie tun das ausgesprochen elegant und nonchalant. Und daneben das Meer, das sich türkis und blau kräuselt, und wenn die Wellen weichen, dann klackern die Steine im Sog. Ich muss einfach die Schuhe ausziehen. Und rein. Und noch weiter. Und noch weiter. Bis ich halt doch drin bin. Auch wenn´s zum Erbarmen kalt ist. Auch wenn das nur die ganz Sehnigen oder die im Neoprenanzug wagen. Ich muss rein. Und ein paar Züge schwimmen, wenigstens weit genug, dass ich die Stadt vom Meer aus sehe, wie sie sich so adrett an den Berg lehnt. Das ist jedes Bibbern wert. Das so schlimm auch gar nicht ist. Ist wie beim Chips-essen – ich will sofort nochmal.

Heute Rottweil. Daheim. Morgen Brötchen verdienen. Und einen Groschen für die Reisekasse.

Gestern Meer. Nächste Woche vielleicht wieder aquasol. Sauna. Was ein adäquater Ersatz ist. Ins Wellenrauschen mischt sich da kein Flugzeug. Und fehlen tut es dann auch nicht. Und die Stimmen nebenan sind nicht italienisch oder französisch. Kauderwelsch sind sie, wie´s ihnen gefällt  – verstehen tu ich´s oft nicht, auch wenn´s schwäbisch ist. Und da lieg ich dann und tanke Sonne und will nirgends anders sein und die Stadtschreiberin fällt mir ein, ich weiß den Namen nicht mehr , die meinte, ´Und Rottweil liegt am Meer´. So oder so ähnlich.  Recht hatte sie.

Rottweil an der Riviera.

Hach. Das wärs´

Ein schöner Traum.

Vom Betteln

April 2019

Gibt man Bettlern oder gibt man ihnen nicht.

Das war mehrfach eine Frage in den letzten Tagen, in letzter Zeit.

Die Obdachlosen in Nizza, die unter Brücken und in Hauseingängen ihr Lager aufschlagen. Bilder im Netz von bewohnten Parkbänken in Hamburg und Berlin.

Die Diskussion am Kaffeetisch. Wer Bettlern gibt, so die These meines Gegenübers, macht sie erst zu solchen und nimmt ihnen die Würde; die gute Tat ist, NICHTS zu geben.

Aber der Bettler/ die Bettlerin hat sich eventuell bewusst entschieden, wende ich ein. Nach dem Motto „Würde ist gut; Bargeld ist besser.“ Würde muss man sich leisten können. Außerdem verdient auch diese Entscheidung Respekt. Und ohnehin ist das Empfinden von Würde ein sehr subjektives und nicht zu knapp von der eigenen Lebenslage abhängig.

Ich bin mir ziemlich sicher, kaum einer bettelt aus Jux und Dollerei, und weil das so ein klasse Outdoor-Job mit großzügigem Stundenlohn ist. 

Und schließlich macht mein Nachbar mich auf die Frau aufmerksam, die – spindeldürr – neuerdings am Norma sitzt. Eine echte Sorge treibt ihn um –  kann man dieser Frau nicht helfen?

Ich habe sie längst gesehen und meine sie zu kennen. Sie wohnt in dem Haus, dessen Fassade ganz mit Zetteln bedeckt ist. Nachrichten an die Aussenwelt, abgehakt wie Blitzlichter – ein Polizist drückt ihren Kopf auf die Erde, ein Zwangsaufenthalt in der Psychiatrie, tote Katzen, ein Einbruch und böse Nachbarn, überhaupt viele Namen von vielen (vermeintlich) bösen Leuten.

Als Grundschulkind hat mich ein Mädchen, das aus jenem Haus kam, mal gegen ältere  Rabauken in der Schule verteidigt. Dafür war ich damals sehr dankbar.

Sie bettelt ohne zu betteln. Es liegt kein Hut, kein Schild vor ihr. Sie sitzt einfach nur da wie ein Mahnmal. Und ich habe das Gefühl, das ist sie auch. Was ist Würde für sie? Ich stelle mir vor, selbstbestimmtes Leben im eigenen Haus, und sei das Dasein auch noch so karg und arm, (anscheinend ist der Strom längst abgestellt), ist ihr lieber, als der propagierte offizielle/ institutionelle Weg, auch wenn der etwas Komfort mit sich brächte.

Sie KANN diesen institutionellen Weg einfach nicht gehen. Ihr Misstrauen ist zu groß, und es führt schnell in eine Richtung, die sie nicht verträgt.

Ich weiß nicht, was richtig ist, und was ´das Beste´ für sie. Und solange ich das nicht weiß, denke ich, ihre Entscheidung gilt.

Also gehe ich nach Gefühl – und ich WILL geben.

Es regnet ein paar Tage, und ich meine, es ist ganz ausgeschlossen, sich an den Norma zu setzen. Essen muss man trotzdem.

Ich gehe zu dem Haus und will grade etwas Geld in den Briefkasten werfen, als sie herauskommt und mich fragt, wer ich sei und was ich wolle. „Ich wohne in der Stadt. Ich will Ihnen etwas einwerfen.“ „Was?“ „Geld.“ Braucht sie nicht, sagt sie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. „Ich habe Sie am Norma sitzen sehen.“ „Dann kommen Sie dorthin und geben mir dort“, sagt sie, und sagt auch wieviel. Es ist weniger, als ich in der Hand habe.

Sie lässt sich aus über Nachbarn und tote Katzen, und über ihre bedrängte Existenz; sie will  in ihrem Geburtshaus bleiben, egal wie.

Sie fragt nochmal, wer ich bin, ich nenne meinen Namen, und sie kontert mit etlichen, denen sie üble Absichten unterstellt.

„Sie können mich anzeigen, ich hätte Sie bedroht“, sagt sie mehrfach, und ich wiederhole genauso oft „das mache ich nicht. Sie haben mich nicht bedroht“. Sie fragt nach meinem Mann. „Es bin nur ich“, sage ich.

Es ist ein zugegeben hilfloses Gespräch. Immerhin lächelt sie am Ende und sagt ´tschüß´,  und ich stecke das Geld wieder ein und denke, ich gebe es ihr dann am Norma.

Ich weiß nicht, ob es richtig ist. Ich tue es trotzdem.

24. Mai 2019

FRIDAY FOR FUTURE  

I)

Ich habe ein Foto gesehen – ein leerer Becher Frühlingsquark, wie ich ihn auch schon gekauft habe, inmitten eines Müllberges am Strand eines fernen Meeres. Der ganze Müllberg wirkt vertraut, wie unsere ausgekippten,  gelben Säcke, nur sind sie nicht auf einer hiesigen Deponie oder einem Verwertungsunternehmen ausgeleert, sondern auf der anderen Seite der Erde.  Ich glaube, es stand da was von Malaysia.

Erstes Kotzen.

Das beschäftigt mich dann doch.

Dass die Ozeane voller Plastik sind, ist mir bekannt. Aber ich gebe zu, ich dachte, das sind asiatische Becher und arabische Tüten, afrikanische Flaschen und Flipflops aus der Südsee.

Ich dachte nicht, dass da mein Frühlingsquark dabei ist.

Scheiße – das will ich nicht, dass der dort landet, und ich versteh im Grunde gar nicht, weshalb er das tut.

Ich steck ihn in den gelben Sack, wenn er leer ist, Alba holt den Sack, und dort, denke ich, wird sortiert, oder weitertransportiert zum Sortieren. Es wird recycelt und geschreddert, im Zweifel verheizt. Sind doch ´Wertstoffe´, steht doch drauf, ist ja auch bezahlt – der Quark wie der Müll.

Und dann landet der an einem fernen Strand, im Meer, in Fischmägen.

Zweites Kotzen.

Ich rufe auf dem Landratsamt an und frage nach, wie das sein kann.

Die Hersteller sind verpflichtet, die Verpackungen zurückzunehmen. Duale Systeme nehmen ihnen diese Verpflichtung gegen Lizenzgebühr ab. Abgesehen davon, dass in den Säcken viel Müll ohne Lizenzgebühr landet, weil Leute wie ich davon ausgehen, dass es auf den ´Wertstoff´ ankommt und der Besitzer des gelben Sackes somit über ein kleines Vermögen verfügt, abgesehen davon also ist ein maschinelles Sortieren nur bedingt möglich und ein manuelles in Deutschland nicht rentabel, weswegen der Müll nach zb China verschifft wird, wo ihn arme Chinesen dann billig von Hand sortieren.

Drittes Kotzen.

Unterwegs fällt mal ein Container vom Schiff oder sinkt ein solches, oder die Verwertungsfirma, die den Müll übernimmt, nimmt es nicht so genau.

Viertes Kotzen.

Eine Neuregelung wird immer wieder überlegt.  Ja. Das habe ich auch schon gehört. Vor Jahren schon. So lange überlegt man schon. Und lässt ein System laufen, das bullshit ist.  

Fünftes Kotzen.

Eine Änderung kann halt nur auf Bundesebene geschehen, der Landkreis hat das nicht in der Hand. Das leuchtet mir ein.

„Es ist der Markt, der die Verbreitung der Abfälle bewirkt.  Das ist nicht so leicht zu steuern“, sagt der freundliche Herr vom Landratsamt.

Sechstes Kotzen.

„Der Markt regelt selbst“, heißt es immer wieder. Ja – und wenn er das so dermaßen scheiße tut? „Müll vermeiden!“, empfiehlt mein behördlicher Abfallberater. Ja ja ja. Pfand statt Plastik, Tupper statt Tüte, Glas statt Tetra.  Ich weiß, ich weiß.

Die billigen Sachen, an die ich mich bislang überwiegend gehalten habe, schon budgetbedingt, halten sich konsequent an Einwegverpackungen. Trotzdem –  ich muss, wenn ich meinen Frühlingsquark nicht nach Malaysia schicken will, nicht nur anders, sondern vermutlich auch teurer einkaufen.

Okay.  Muss ich dran arbeiten, muss ich durch.

Von der  „Macht des Verbrauchers“ ist gerne die Rede. Und gemeint ist eine Pflicht.

Wieso muss immer der Verbraucher, der den Markt nicht macht und auch nicht steuert, der ihn gar nicht in der Hand hat, auch wenn der Markt das gerne behauptet, was perfide ist, weil es nämlich andersrum grad so wenn nicht noch viel mehr stimmt  – wieso muss der es am Ende leisten?

Es ist eine Aufgabe mehr. Ich habe einen Job,  Familie, Haushalt; mein Kalender quillt über, und meine To-do-Listen sind nie durch – ich habe Aufgaben genug. Daneben müsst ich Fachfrau werden für IT-Belange.  Technisch sind wir ausgestattet wie in Zeiten des letzten Jahrtausends. Ich müsste Chemikerin sein um zu verstehen, was auf den Packungen steht, und ich müsste Hauswirtschafterin sein, nicht Hausfrau, bei der diese Dinge am Besten nebenher und geschwind geschehen sollen. Ich müsste mich als solche mehr und anders informieren und bilden, anders kochen, und anfangen einzuwecken, und mich engagieren, und mehr Sport machen,  und sowieso alles anders und besser machen.

Herrje. Das wird mir echt zuviel.

Ich bin bestimmt nicht die Einzige, der es so geht.

Friday for future.

Ich verlange ein Gesetz, das es verbietet, Müll um die Welt zu schicken.  Und eins, das dafür sorgt, dass auch ein  Normalsterblicher kapiert, was wo drin ist. Und eins, das ganz viele Stoffe verbietet….

FRIDAY FOR FUTURE II

Eine Million Arten sterben aus  oder sind akut bedroht. Eine von sieben. Das größte Artensterben seit dem Aussterben der Dinosaurier . Damals, heißt´s, war´s ein Meteorit. Diesmal sind wir Menschen es.

Und alles geht seinen gewohnten Gang.  Und man regt sich auf über Junge, die sich aufregen.

Und tut so, als wäre alle daraus folgende Handlung bloße Option. Als ließe sich da rumtüteln.  Als stünde da kein MUSS und JETZT!.

Es braucht einen grundlegenden Wandel der Politik.  Es braucht einen kompletten Wandel des ökonomischen Systems.  Man muss für alles und jedes den korrekten, den nachhaltigen Preis zugrunde legen. Sagt die Studie. 

Was kostet  mein Kaffee am Morgen. Was das Zähneputzen. Was meine Klamotten, was der Toast.  Das Ebike, das Busticket.  Das Vesper. Das Schulbuch. Der Kuli. Der Schwimmbadbesuch. Gibt es das dann überhaupt noch? Was die Pizza um die Ecke. Tablett, Handy, Laptop. Was die Dvd. Was der Bauplatz an der Spitalhöhe. Was das Feuerwerk zu Silvester. Was kostet alles, wenn man eine sorgsame Produktion, Renaturierung, Transport,  Entsorgung – alles mit hineinrechnet.

Wie rechnet man das?

Ich war noch nie gut in Mathe. Ich wusste in Gleichungen mit Unbekannten nie, welche Zahl, welche Unbekannte wohin kommt.  Ich rudere schon beim Einkaufen. Wenn zwei Kilo Äpfel 3,50 kosten, und 1,5 Kilo Birnen 3 Euro. Was ist dann billiger und wieviel? Die Äpfel kosten das Kilo 1,75. Die Birnen 2. Die Äpfel sind billiger, gepfiffen auf wieviel Prozent, ich nehm die Äpfel, sind eh gesünder.

Das geht grad noch.

Aber  dies ist eine Gleichung mit so vielen Unbekannten, dass mir schwindelig wird. Wobei es nur Unbekannte für MICH sind. Irgendwer weiß, was die korrekte Produktion eines Handys kosten würde. Und wieviel dessen Entsorgung. Irgendwer hat all diese Zahlen. Ich kann´s mir nicht anders vorstellen.

Raus damit!

Und  dann fügen wir  zusammen und addieren, und teilen zu und auf. Addieren kann ich auch, und all die Grundrechenarten. Rechnen wir  den nachhaltigen Preis.  

Let´s talk about money.

Rechnen wir den Systemwechsel.

FRIDAY FOR FUTURE III

Vom Kleinen zum Großen

Heute geht mein Internet nicht. Ich habe zwar Verbindung, kann aber keine Seiten aufrufen. Nervt voll. Vor Allem, weil ich keine Ahnung habe, was zu tun ist. Ich rufe die einzige Nummer an, von der ich denke, da könnte mir geholfen werden, eine private, so´n crack, der´s drauf hat. 

Mein Notebook sei  eventuell veraltet, hör ich. Ich soll ein Neues kaufen.     Es ist sieben Jahre alt. Das ist doch keine Zeit, finde ich.  Und es ist ja nicht kaputt.                                                                                                                   Solange ich nicht die Einzige bin mit Wählscheibe, während alle anderen Touchscreens benutzen, solange sich noch was tut auf dem Bildschirm, solange will ich das Ding behalten.                                                                  Immer neu, immer besser, immer größer, schneller, bunter, wilder –  Das kann´s doch nicht sein, oder.  Schon von wegen Ressourcenverbrauch.  Von der Ausgabe gar nicht zu reden.                        

Wie wollen wir leben, in der Stadt, und in Europa.  Wie werden unsere Fußabdrücke so, dass es der Boden auch aushält, und uns unser Lebensstil dabei noch gefällt.

Verzicht ist nicht eben unsere  Stärke. Ohne wird´s aber kaum gehen.  Davon gehe ich einfach mal aus; ich kann es mir nicht anders vorstellen. Und ich find´s auch nicht schlimm. Deshalb bricht noch lange nicht das Elend aus.

Ich würde gerne weg von dem  ´immer mehr´ .  

Und wie sieht das aus beim `Höher Grüner Weiter`. Wenn das auch wieder nur so ein adrett verpacktes ´mehr´ wäre,  fände ich´s blöd.

Wäre urban gardening nicht ein prima Faden durch so eine Gartenschau? Und eine Architektur, die das ebenfalls umsetzt und Lust auf ´Zusammen´ macht.

Auf dem Berner Feld will einer einen Solarpark aufbauen. Die Stadt  will aber Arbeitsplätze. Ich schätze, die bringen mehr Geld. Für ´mehr´.

So viele Arbeitslose gibt es aber gar nicht. Glaube ich. Vielmehr ist ständig die Rede von Arbeitskräftemangel. Und die, die nicht arbeiten, sind zu jung oder zu alt, zu krank, oder sie können oder dürfen nicht.  

Ich finde die Idee mit dieser Solaranlage nicht unsympathisch. Klingt nach einer Investition in Nachhaltigkeit.

Der Ortschaftsrat, der Gemeinderat, das Europaparlament – alle sind sie neu gewählt.  Ärmel werden symbolisch hochgekrempelt, jetzt geht´s los, jetzt werden alle anstehenden Aufgaben mit frischem Mut und Wind angepackt.

Oder auch nicht.

Es kann einem angst und bang werden angesichts eben jener Aufgaben. 

Vor Ort geht es um Gewerbesteuer, Baugebiete  und Gartenschauen.  Da klammert man die großen Zusammenhänge betulich aus. Irgendwie, die Details entziehen sich mir,  kauft man sich mit  Ökopunkten von jeder Sauerei  wieder frei.   

Überregional geht es um Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Frieden, soziale Gerechtigkeit, … , alles Themen, die für sich alleine schon starker Tobak sind, und jetzt zusammen alle in ähnlicher Brisanz – das macht Bauchweh.

Die Demokratie muss sich gegen den Vorwurf wehren, nicht das geeignete System zu sein für solch aufgewühlte Zeiten. Wenigstens gegen den, nicht gut zu funktionieren.

Aber solche To-do-Listen, könnte ich mir vorstellen, brächten jedes System an den Rand.

Bauchweh.

„Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen“.

„Urban gardening“ klingt wie die moderne Variante davon.

Ich fang mal an -. Sobald mein Internet wieder funktioniert, mach ich mich schlau!

Karfreitag

ein guter Tag, um über Schuld zu schwadronieren.

Meine Biographie ist voll davon.  Kleine Verfehlungen und dicke Schnitzer, wahrhaft Beschämendes, wenigstens Peinliches,  und lediglich Lässliches. Wenn schon Worte und Gedanken zählten – herrje – ich käm aus dem Beichten gar nicht raus. Und täglich kommt neue Schuld dazu, und sei es nur, weil ich nichts gegen das Elend  in der Welt unternommen habe.

Ich bin in guter Gesellschaft. Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte von Schuld.

SO voll, dass man geneigt sein könnte, sie als gegeben , als unvermeidbar und normal anzunehmen.

Trotzdem, finde ich, reichen die Anstrengungen nicht aus, sie zu minimieren. Manchmal sind´s ja gar keine Anstrengungen; manches Tun ist bloß Alibi.

Da ist die Kirche auch nicht frei von.  Spenden darf man gerne, was damit getan wird, wird nicht verraten. Am massenhaften Missbrauch sind alle schuld – der Teufel, die Frauen, die 68er, der Messwein, und wenn´s von denen keiner war, dann waren´s die Marshmellows;  nur nicht die Täter. Für sie hat sich´s mit der Beichte erledigt. Es scheint eine Auslegung des Glaubens zu sein, die von der Schuld lebt, aber nicht  damit umgehen kann, die 1000 Schliche sucht und sich windet, um das Thema gebührend abzuhaken.   Und seh ich mir das Gebaren seit dem Feuer in Notre Dame an, dann denk ich, der Ablaßhandel hat nie wirklich aufgehört. Wer  Kohle hat, (und die, wer weiß, nicht ohne Schuld), der spendet jetzt.

Wunderbare Notre Dame  – ein Prestigebau der Kirche, prächtig und großartig, erhaben und ergreifend. Gebaut, um Gott – den einen, wahrhaften Gott, wie die Kirche ihn für sich beansprucht –  und das Übermächtige fühlbar zu machen. Und das ist gut gelungen!

Es ist ein Jammer. Es ist zum Weinen. Aber so ist das, denk ich, alles hat seine Zeit – jetzt isse platt, die schöne Kathedrale. Schad drum. Paris, aber bleibt bestehen und ist dennoch Paris.

Und die Erde dreht sich trotzdem. Und sie hat dringlichere Probleme.  

Die Kirche sagt nichts anderes. „Mir gäbet nix“. Weil in Frankreich die meisten Kathedralen dem Staat gehören. Das ist geschickt; so kostet auch der Unterhalt nichts. Und weil sie von Christen und Nicht-Christen besucht wird. Dieses Kreuz also trägt sie nicht. Damit hat sie nichts mehr zu schaffen. Der fühlbare Gott – jetzt sind andere zuständig. Als Hort des Gottesdienstes hat sie eh längst ausgedient.

Okeee.

Wenn Notre Dame für die Kirche keine Rolle mehr spielt, wenn sie als Gotteshaus nicht mehr gilt, dann darf die Frage nach Verwendung und Zweck neu gestellt werden. Wenn ein Grund für die Kirche, deren Prestigeobjekt das ist, sich nicht zu engagieren, darin begründet ist, dass dieser Ort auch von Nichtchristen besucht wird, dann mache man einen Hort des Multikulti draus, religionsübergreifend, kulturübergreifend, milieuübergreifend. Für Arme und Reiche, Weiße und Schwarze, Einheimische, Geduldete und Flüchtlinge.  Zum Wohnen, Schaffen, Meditieren oder  Beten, Geschäfte machen oder Party; Suppenküche neben Haut Cuisine; just for fun, und ohne den Anspruch, damit auf ewig die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben. Es lebe die Fantasie, es lebe der Zauber des Neuen.  

Die Fassade erhalten, vielleicht Grundriss und Chic und was vom Feuer verschont und erhaltenswert ist auch, und es machen wie mit anderen baulichen Schönheiten  auch  – ganz nonchalant aushöhlen und umwidmen.

So wird´s nicht kommen. Aber träumen ist erlaubt!

Es ist ein sonniger Feiertag. Für Christen und für Muslime. Nebenan singt der Imam. Und als ich später aus dem Fenster seh, seh ich die Gläubigen aus der Moschee strömen. Schwatzend stehen sie in der Straße und genießen die Frühlingssonne.  Es sind fast ausnahmslos junge Männer zwischen zwanzig und dreißig, geschätzt. Männer aller Couleur. Durchaus nicht bärtig und finster.

Die reifen Herren von der Ditib, die sich mir gegenüber freundlich reserviert geben, was in Ordnung ist, ich kenne ihre Erfahrungen nicht – hier öffnen sie sich. Hier wird ein fremder junger Mann integriert, hier darf er Teil von etwas sein.  Verstehen kann ich das.

Freilich – es gibt auch städtische, staatliche Integrationsbemühungen. Cafés und Sprechstunden, Spieleabende und Deutschkurse. Aber im Herzen trägt das Gros der Bevölkerung  Integration halt nicht.

Ein jeder trage sein Kreuz allein! „Jeder für sich und Gott für uns alle“, so hieß es in der Schule vor den Klassenarbeiten.

Wie Outsourcing. Wenn Gott zuständig ist, bin ich es nicht selbst.

Glaube in Ehren, aber es geschah schon sehr viel Schlimmes in der Welt, ohne dass ein Gott eingriff. Sich darauf auszuruhen, erscheint mir nicht recht.

Naja. Da weiß ich jetzt auch nicht weiter.

Ich geh zum Sohnemann. der spielt am Tablet. Ich kämme seine Haare und guck ihm über die Schulter. Erstmal sehe ich Blut spritzen. Ach du grüne Neune. Was´n das für´n Scheiß. Dann sehe ich ein verkleidetes Würstchen,  das um sein Leben rennt, unter Messern und Häckslern durch, über einen Grill hinweg, Katzenpfoten ausweichend, schwer beschuhten Füßen und Sandelschaufen in den Händen von kleinen Kindern, die ausholen wie mit der Streitaxt. Wenn man den Parcours schafft, bekommt man einen Panzer – dann ist man ein HotDog und hat das nächste Level erreicht.

Wir lachen uns miteinander schlapp.

Dann ziehen wir uns an und gehen an den Friedrichsplatz, Döner essen.

Es ist Karfreitag. Asche auf mein Haupt.

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