Mittelschichtsträume und die wunderbare Leichtigkeit des Seins

Ein Vollbad, ein langer Spaziergang, frühes Schlafen, im Sessel sitzen und nichts tun – das Schicksal kann so großzügig sein. Noch immer Ferien. Ich kann sie gediegen verdauen – die leichtlebige Woche „Kulturufer in Friedrichshafen“, mit Sommer – den ich da als eine Frage des Willens mehr denn als eine des Wetters definiert habe – mit Akrobatik, Theater, Kabarett, Tanz und Zauberei und Musik auf jedem Schritt und mit dem Bodensee vor der Wohnwagentür und einem sehr sympathischen Mikrokosmos hinter den Kulissen des Festivals. Schön war das und bedenkenswert. Auf von einem Kurztrip kommt man nicht gleich wieder heim wie man aufbrach.

Da war eine Männerband, Machos in Style und Texten, aber sehr witzig, bisweilen klar ironisch, aber mitunter war ich mir auch nicht sicher, was Ernst war, was Ironie, und was überwog, die Lebensfreude oder der Frust über die Zumutungen eines sich ändernden Männerideals. Der Freund auch der Wohnwagennächte fand die Band überhaupt nicht macho. Am Abend darauf eine feministische Lesung mit Auszügen „von Texten starker Frauen“, die ich teilweise auch sehr bewundere, Simone de Beauvoir zum Beispiel. Der Freund fand die Lesung überhaupt nicht feministisch, „es sei ja mehr um früher gegangen“. Ausgangspunkt war Corona gewesen. Ich hätte mich mit der vortragenden Frau danach ganz gerne noch länger unterhalten, aber so im direkten Gegenüber schien sie mir die Sprache eines fremden Planeten zu sprechen. Am Wein kann´s da noch nicht gelegen haben. Jedenfalls dachte ich, das mit Machismo und Feminismus, das stellt schon je nach Standpunkt sehr unterschiedlich dar.

Sehr viel sehr tolle Kunst in Zelten, und genauso begeisternde auf der Promenade. Straßenkunst ist nicht zu unterschätzen. Der Umstand, dass sie im Freien stattfindet und „in den Hut“ gespielt wird, tut der Kunst keinen Abbruch. Da war eine Tänzerin, die die Menge mitnahm auf eine Reise in unser aller Inneres und die mit spontanen Statisten aus dem Publikum eine atemberaubende Allianz einging. Da war ein Feuer-Künstler, dessen Show ich beeindruckend fand, waghalsig und gekonnt, die mich aber nicht so sehr von den Füßen riss und dessen Auftritt ich etwas aufdringlich fand. Nun gut, ich habe sie tagsüber gesehen und da hat man es als Feuerkünstler sicher schwer. Später habe ich erfahren, dass die beiden, Tänzerin und Feuerakrobat, zusammen mit ihren Kindern unterwegs sind. Was für tolle Lebensentwürfe es doch gibt! Da waren mehrere Paare aus Argentinien, lustige Clown*innen und eines, das mit dem ganzen Körper Kunstwerke auf abwaschbare Leinwände malte. Ein Zauberer gab „meinem“ Mädel einen Ball in die Hand, und sie sollte die Finger drum schließen und darauf pusten, und als sie die Faust wieder öffnete, waren erst zwei, dann drei Bälle darin. Wir staunten. Wir staunten auch über tanzende Stelzenfrauen, die grazil und leidenschaftlich Aufruhr, Zerrissen – und Zerbrechlichkeit und Vertrauen über die Köpfe hinwegtanzten. Eine andere Show endete mit Eichendorffs Kanon „Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort“. Ich liebe ihn.

Mein Mädel war nachgekommen. „Ihr erstes Festival“. Sie war beeindruckt und gefordert. Großwerden ist ja an sich schon schwer und bisweilen ein Buch mit sieben Siegeln. Und dann so ein Mikrokosmos. Da können die besten Shows in den Hintergrund treten. Sie hat lieber im See Fische regiert und mit Seifenproduzentinnen Bekanntschaft gemacht. Und wir haben jetzt viele pastellfarben glitzernde und duftende Seifen als Rose, Hase, Bär,… .

Es waren Tage voller Schöngeist und Menschenliebe. Schöne Menschen machten schöne Dinge. Und dabei waren sie durchaus nicht alle klischeehaft „schön“ – da gab es junge und alte, dicke und dünne, makellose und vom Leben gezeichnete – schön waren sie alle eher in so einer Art Wesenzug, einer Grundhaltung.

Nach zehn Tagen hieß es „vorbei“. Der Mikrokosmos seufzte wehmütig und packte sich selbst in seine Kisten.

Danach, auf meinem Verdauungsspaziergang, kam ich an einem sprudelnden Bach und Feldern entlang durch stillen Wald, sah Schmetterlinge und Mücken im Licht tanzen, sah sehr schöne und auch einen sehr kranken Baum und hörte Grillen zirpen, und ich ging so ziellos dahin und kam von ungewohnter Seite in ein mir fremdes Neubaugebiet, eines, das ich nur vom Namen und der Bezeichnung in der Zeitung her kenne; neu entstanden der letzten 10 Jahre so pi mal Daumen. Grad aus dem Wald heraus stand ich plötzlich neben einer Doppelgarage, davor ein Porsche, E, und auf der anderen Seite ein SUV, und ich ging die Straße entlang und betrachtete die Häuser, an einem hing ein Werbeschild für ein Architekturbüro, und ich dachte „meine Fresse, hier waren vermutlich ganze Legionen von Architekten beschäftigt, und dann kommt so eine Scheiße dabei raus!“: lauter weiße Wohnwürfel unterschiedlichen Formats inmitten lauter grüner Rasenflächen, unterschiedlich geschnitten und begrenzt, und aus jedem Quadratmeter schreit der Wettbewerb „größer-nobler-teurer“. Und das soll also der große Traum des Mittelstands sein! Je nach Geldbeutel und Karrieresprosse mehr oder weniger „gehoben“ oder auch „bescheiden“, aber immer würfelig, weiß-grün und sterbenslangweilig. Die Scheidungsraten in solchen Vierteln seien um gut ein Drittel höher als in anders gemischten, hab ich mal gelesen. Und dafür werden Flächen um Flächen versiegelt als gäb´s kein Morgen. Und ich lief so durch und fand´s so bescheuert und stellte mir vor, es gäbe Architekten, die neue Träume kreierten, grüne Biotope und Mehrparteienwohnen nicht nur für schicke Citys und hippe Vorzeigevorstädte, sondern auch fürs schnöde Land und poplige Kleinstädte ein neues Cool. Ich stellte mir vor  – weil es ja offenbar unbedingt ein Oben und ein Unten geben muss – die Erfolgreicheren oben, die Bescheideneren mittig, die Ärmeren ganz unten – mehrstöckig, mit Balkonen und Höfen, und dazwischen mit Gemeinschaftsräumen, je nach Lebensstandard und Generation, für jeden was dabei, und das Ganze begrünt zu allen Seiten und drüber und drunter, und mit Carsharing im Viertel und witzigen Bushaltestellen, an denen man gerne wartet. Ich stellte mir vor, es gäbe ein Zusammen des Mittelstands, der nicht nacheifert, sondern sich zusammentut auch mit den Armen und sich abhebt von den Superreichen, die sich noch so viel ignoranter breitmachen und auf jedem Kontinent mindestens ein Anwesen brauchen und das so großzügig bemessen, dass diese paar Krösusse ganze Landstriche in Dornröschenschlaf versetzen können, wenn der Jetset grad anderswo weilt, und die den Lebtag lang mit feudaler Selbstverständlichkeit zwischen ihren Bunkern hin und her jetten und von irgendwelchen Finanzjongleuren den Reichtum mehren lassen. SIE gälte es zu begrenzen. Und das stellte ich mir vor und dachte, das wäre gar kein „Weniger“, das wäre so viel mehr Leichtigkeit des Seins für alle und überhaupt für unseren ganzen Mikrokosmos Deutschland.

„Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort…“ Ach, Herr Eichendorff – welchen Traum wollen wir jetzt aufleben lassen, und wie lautet das Zauberwort?

„Alles gut“ – Jedem seinen eigenen Vogel

Das Fest ist gefeiert, und eigentlich wäre jetzt durchatmen und die Pause „zwischen den Jahren“ genießen schön, wenn alles einen Gang runterschält. Es ist ja so im Großen und Ganzen irgendwie doch „alles gut“. Weshalb es also nicht einfach mal gut sein lassen. Aber im Detail steckt halt doch ein Ringen um ebendies „gut“ darin. So geschieht mein „zwischen den Jahren“  im seltsamen Nebeneinander von Slo-mo und Zeitraffer, und ich weiß nicht, ob mir nur alles so dichtgedrängt vorkommt und ich mit meinen Erwartungen und Plänen daneben liege, oder ob es wirklich so ist. Anscheinend aber bin ich nicht die Einzige, die so empfindet.

Für Vorweihnachtsfreude hatte ich wenig Sinn dieses Jahr. Das Weihnachtsfest der Maxi-Kolbe-Schule war ein rarer, schöner Moment. Das Mädel singt im Chor, und ich war hinterher ganz dankbar darum, dass ich quasi gezwungen gewesen war, hinzugehen. Ich fand´s toll. Mit viel Gesang und zauberhaften Lichtspielen. Voll schön. Es ging um Licht und Liebe, darum, dass kein Kind zur Welt kommt und weiß, was Hass ist – den lernt es unter ungünstigen Umständen erst später – dass jedes aber sofort Liebe erkennt. Liebe ist der Natur des Menschen viel näher. Das ist ganz  meine Parole. Mit Liebe ist alles besser. Manche finden „Bitte“  sei das Zauberwort. Meines ist „trotzdem“. Trotzdem lieben. Jeder hat seinen eigenen Vogel, sag ich immer, mindestens einen, viele mehrere. Solange die nicht gemeingefährlich sind, ist das halb so wild. Wobei nicht jede Zumutung als „gefährlich“  gelten kann. Die Zumutungen gehören mitunter zum „trotzdem“. Nicht alles läuft immer rund und ist trotzdem gut. Ich habe mich mit einer Mitmutter unterhalten darüber, wie schwer die Hilflosigkeit zu ertragen ist, mit der wir das Altwerden der Eltern hinnehmen müssen, auch da, wo sich tragische Elemente hineinschieben. „Je oller je doller“, das gilt auch für die Vögel. Und an Weihnachten fliegen auch sie gerne himmelwärts und richtig hoch. „Das Fest wird schön werden, so oder so!“ haben wir uns einander Mut zusprechend verabschiedet. Und das war es dann auch, schön, aber nicht rund.  

Weihnachten war anders dieses Jahr. Oma kommt unsere Treppe nicht mehr hoch, deshalb waren wir mittags dort. Das war chaotisch, aber auch sehr nett, und das obwohl es just an diesem Heiligen-Abend-Tag einen innerfamiliären Bruch gab, mit dem ich so auch nicht gerechnet hätte. Die liebe Familie – manchmal bin ich überrascht, was da alles möglich ist.  Ich hatte gedacht, ich kennte die Vögel meiner Nächsten. Das war ein Irrtum. Von manchen hatte ich keine Ahnung. Und wer weiß, was da noch alles brütet.

Da wirft einer an Heilig Abend aus der Ferne einen Bettel hin, von dem ich behauptet hätte, dass der gar nicht hinzuwerfen ist, so wie ich ja nun immer zb „Eltern“  bin, egal was passiert und wie ich dazu stehe. Weil ihm seine eigene Geschichte heuer im Weg ist und jetzt alle so tun sollen, als wäre sie nie geschehen, und weil die Eltern eine Türe aufmachen, die er streng verschlossen hält, durch die er einst aber selbst gekommen ist. Unsere Eltern haben IMMER anderen die Türe aufgemacht, das hat sich nicht geändert und muss es auch nicht, an Festen, bei denen es um Gastfreundschaft geht, schon gar nicht. Und dann regt er sich auf, dass keiner mitzieht. „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich“ – find ich blöd, und selbst die Bibel hat nicht in allem Recht. Auch als loyal Liebende muss ich nicht bei jedem Mist dabei sein.

Ich habe mich über Opas Dickfelligkeit und Ignoranz schon so aufgeregt, dass ich in einer Lautstärke hätte schreien wollen, die man am Nordpol noch hört. Hier fand ich diese Dickfelligkeit nun ganz brauchbar – wir nehmen zur Kenntnis und warten ab, was die Zukunft bringt.

Von den Großeltern ging´s zum Familiengottesdienst in der Predigerkirche, wie in eigenen Kindertagen. Ich hatte es mit den Kindern vor einigen Jahren mal versucht, was ein Desaster gewesen war. Es war nicht unsere beste Zeit gewesen, und den Kindern mangelte es an Aufmerksamkeit und Sitzfleisch. Es hat mich eigentlich gewundert, dass wir nicht hochkant rausgeflogen sind. Die mitleidigen Blicke der Banknachbar*innen haben allerdings Bände gesprochen, und eine Frau vor mir hat sich umgedreht und mir sanft zugeflüstert, ihre Enkelin habe sich schon übergeben, so überdreht sei sie gewesen. Und ich schluckte und dachte „prima, das also ist die Kategorie, in der wir uns hier bewegen“. Fortan haben wir die Geschichte mit Gästen zuhause selbst gespielt. Jetzt aber war Zeit für einen neuen Versuch. ….

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„Der Himmel ist nicht geerdet!“

„Probleme werden da anders gefixt“,

– auf dem Kongress des ChaosComputerClub, der über einen eigenen Himmel verfügt, erzählte die Frau des Leiters vom kleinen Zelt beim Kulturufer in Friedrichshafen, nämlich „sofort, kollektiv, technikbegeistert und zielorientiert“. Engel gibt es viele auf diesen Kongressen; sie sind zuständig für Müll und allerhand andere Logistik, die es braucht, wenn 30.000 Leute technikbegeistert und zielgerichtet Probleme fixen. Und die Engel haben ihre Base, wie kann es anders sein, im „Himmel“, der ein Zelt ist, das wiederum kein geeigneter Zufluchtsort ist bei einem Unwetter. Wenn es blitzt und stürmt, muss man raus, denn der Himmel ist nicht geerdet. So war es auch bei Gisbert zu Knyphausen und dem Pianisten Kai Schumacher, die ihr Konzert im großen Zelt in Friedrichshafen abbrechen mussten, und das, obwohl man ihnen hätte eigentlich dankbar sein müssen. Kai Schumacher hatte den Regen beschworen. Erst war da nur Wind gewesen, dann legten Schumachers Hände sich auf die Tasten und lockten, und erst kamen vereinzelte Tropfen, und wie die Hände schneller und schneller und schneller wurden und endlich wie wild geworden über die Klaviatur rasten, so prasselten schließlich auch die Tropfen aufs Zeltdach, Klavier und Sturm wurden eins. Magic. Wenigstens den „Leiermann“ von Schubert hat es vor Abbruch noch gegeben. Gisbert von Knyphausen – mega.
 
Der Himmel-Satz begleitete mich tagelang, an den Jongleuren, Akrobaten und Feuerspeiern vorbei, ins Klezmerkonzert, wo die Luft schwül waberte und die Klänge virtuos ins Ohr schwammen, zu Fred Wesley, einer Funk-Legende, die so schräg wie cool war. Bestimmt lag es an meinem Blickwinkel. Ich stand, weil ich nicht vorne sitzen wollte, seitlich in den oberen Rängen und sah ihn von schräg oben. Steinalt und in sich zusammengesunken auf einem quietschroten Küchenhocker sitzend, schwarze Waden über knallgelben Schuhen. Das dunkle Hemd über den rostbraunen Shorts spannte an der Brust und stand ab dem Hosenbund offen auseinander, was einen stattlichen Bauch vermuten ließ; „vielleicht hat er einen Buckel“, dachte ich. Ein hell leuchtender Heiligenschein umgab das schwarze Gesicht. Voll schräg, und soo cool. Er animierte das Publikum zu Lippenakrobatik, „back to the boogie“ oder so ähnlich, mit so vielen Bs aneinandergereiht, dass die Lippen sich verhedderten, später im Wechselgesang „bake a bread with my mom“ und „pass the piece“. Das Publikum erhob sich von den Stühlen, irgendwann standen, tanzten und sangen alle. Auch Fred Wesley stand, alt, aber nicht steinalt, der heiligenschein waren weiße Haare, der Küchenhocker war ein recht schickes Designermöbel, und Wesley hatte keinen Buckel und war auch gar nicht dick. Im Stehen war er weniger schräg, aber immer noch total cool.
Manchmal liegen Himmel und Erde schon sehr nahe beieinander. Das Leben kann so schön sein. Liebe und Wein, See und Sommer, vor der Wohnwagentüre eine Schlemmermeile, Musik, Theater und Straßenkunst, und jeder Quadratmeter birst schier vor Lebensfreude. Den Kindern würde das gefallen, dachte ich, dies Lager am Bodenseeufer, die Wiese mit den vielen Zelten, in denen sie werkeln und basteln, bauen und spielen. Kurz dachte ich an den letzten Tag vor der Abreise, an Rottweils „Ferienzauber“. Die Tochter und ich haben uns mit einem ganz gleichen Duo dort getroffen. War sehr schön; wir kennen uns lange genug um zu wissen, wie wir eine gute Zeit zusammen haben können, egal wo. Der Fahrradparcours im Kinderbereich war bereits abgebaut, die Spielgeräte belagert, im Zelt gab´s Schmetterlingsbasteln. Wir haben unsre Kinder genötigt, „macht mal!“, damit sie wenigstens Etwas im Kinderbereich gemacht hatten. Ferienzauber war schon ein großes Kinderspektakel mit Werkeln, Bauen, Tanzen und so gewesen – bevor Party und Bands vollends übernahmen und es nun reine Location war, mit eher weniger Zauber. Sei´s drum.
Mittlerweile sind beide Kinder in ihren jeweiligen Sommerlagern. Ich habe bis jetzt nichts gehört, demnach ist wohl alles okay. Beim Großen konnte ich nur noch hinterhergerufen „viel Spaß!“, und schon war er weg. Die Kleine war hin und gerissen zwischen Nähe und Abstand, die Tränen so dicht hinter dem Auge, dass jede Berührung die Dämme einzureißen drohte. Besser nicht dem Weinen nachgeben, dachte sie wohl. Nach ner halben Stunde im Zug war´s bestimmt eh vergessen. Wir sind ganz getrennt, fern voneinander. Ich hoffe, es geht allen Familienmitgliedern so gut wie mir gerade.
Ich habe, nachdem die Kleine verabschiedet war, noch zu meiner Freundin gesagt „hoffentlich geht alles gut“. Mir war schon etwas schwer ums Herz. Und sie, deren Kinder jahrelang dabei waren: „es sieht chaotischer aus, als es ist, sie bringen´s immer hin, und wenn nicht gleich, dann etwas später. Und was soll´s – sonst erfahren sie auch nur, dass auch mal was NICHT klappt und glatt läuft, sie erfahren, dass Dinge auch scheitern, und das lernen sie eigentlich viel zu wenig“.
Stimmt. Auch Scheitern will gelernt sein.
Ich weiß nicht, weshalb es mir jetzt einfällt. Als große Träume kläglich scheiterten….

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Neues Lieblingswort: minimalinvasiv

Es ist ein Segen, wenn das eigene Leben so ist, wie man es sich wünscht und wie es guttut. Die Welt drumrum ist bei Weitem nicht so, wie ich sie mir wünsche – meine eigenen Strukturen schon. Das darf gerne so bleiben. Es ist auch ein Segen, wenn nichts mit Gewalt oder übermäßigen Ansprüchen einbricht.
Ich habe gefühlt immer zu wenig Zeit. Dabei ist das blöd. Ein Tag hat 24 Stunden, nie mehr, nie weniger. Und was man schafft, schafft man, was nicht, das nicht. Es war eine volle und erlebnisreiche Woche, mit nicht nur Job und Familie, sondern mit für meine Verhältnisse viel Öffentlichkeit, fand ich. Der krönende Abschluß war der Samstagsabend, das letzte Konzert des Jazzfestes. War ziemlich elektronisch alles, aber mega. Ich finde Akkordeon toll. So saß ich mit einem leichten Schwips und einem verliebten Gefühl im Bauch, ließ mich von Musik und Lichtern entführen und fand alles ganz klasse. Ich hatte meine Freundin zum VIP-Empfang begleitet, und das ist schon ein Spaß, sowieso mit Sekt und Häppchen und grünem Bändel, mit dem man frei konsumieren darf, inklusive Gin-Tonic. Gerade noch die Kurve gekriegt und dem fetten Kater ausgewichen. So war der Sonntag gerettet, der dem Aufräumen gewidmet sein sollte, haushälterisch wie mental.
So geschehen. Minimalinvasiv, was das Haushalten anging. Es zog mich hinaus; ich war lange nicht spazieren………………………

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Eine Fasnet im Krisenmodus



„Ne Freude im Leid“ (Anmerk.: aus dem Rottweiler Narrenmarsch)
Eine Fasnet im Krisenmodus


Es stimmt schon – es war ein Irrsinn, so eigentlich, in solchen Zeiten Fasnet zu feiern. Mt einem Virus im Umlauf, das zwar meistens ganz harmlose Krankheitsverläufe mit sich bringt, immer wieder – und das ziemlich unberechenbar – aber doch mit brachialer Gewalt zuschlägt. Es war und ist ein bisschen wie Roulettespielen – wo bleibt die Kugel hängen. Ich weiß nicht, ob mir der Fatalismus gefällt, der sich damit breit macht. Aber er hilft. Er nimmt den Schrecken. Jetzt, nach der Fasnet, sind ganze Familien „positiv“ und daheim, und in der Tat leiden die allermeisten an nicht mehr als an einer gewöhnlichen Erkältung. Ich kannte allerdings auch Leute, die es nicht überlebt haben, selbst dieses „harmlose“ Omikron nicht.
Dann der Krieg vor der Haustüre. Es war ja nicht unumstritten: ist unter diesen Umständen Fasnetfeiern überhaupt vertretbar? Ich fand, es ist. Ob Corona, der Krieg oder das Klima – es folgt Krise auf Krise, und ich will nicht das Leben absagen. Weihnachten gab es mit Corona, Urlaub mit Klimakrise – und Fasnet mit Krieg; jeweils den Umständen angepasst, aber eben doch. Was würde ich sonst den Kindern vermitteln? Dass sie in eine Welt hineingeboren wurden, die das Feiern nicht mehr erlaubt und aus der jede Leichtigkeit verschwinden muss, weil es als nicht schicklich gilt, das Schlimme und Schwere, das irgendwo in der Welt immerzu passiert, mal beiseite zu schieben? Sie sollen doch zuversichtlich sein können.
Meine Kinder tragen sämtliche Coronaregeln ohne viel Murren, wie ich auch. Und obwohl wir alle drei jeweils von ganz unterschiedlichem Naturell sind, hat jeder von uns diese Fasnet auf seine Weise genossen und nimmt von der Freude etwas mit hinein in den kommenden Alltag. Krisen kommen ungebeten, und mit ihnen leben, meine ich, heißt auch, Freude da tanken, wo es geht. „Die Freude im Leid“ eben – ich bitte drum – so heißt es im Narrenmarsch, die will ich dann auch.
Was kann ich auch tun. Ich weiß nicht viel über Russland und die Ukraine und kann kaum beurteilen, wo „gut“, wo „böse“ ist. Dass Putin einen Schaden hat, das war mir klar; das spricht aus seinen eigentlich lachhaften Machoposen. Grundgütiger – als Taucher mit nacktem Oberkörper, die Amphore, wahlweise der Barsch, in der Hand. Wäre er sexy wie einer der Chippendales, könnte er seinen Komplex anders regeln; so muss es halt Macht- und Größenwahn sein. Aber diesen russischen Großmachtkomplex, den hat er wohl nicht alleine. Auch sind die Nato und die Bündnisse des Westens ebenso keine Pfadfindervereine, wo es täglich um die gute Tat geht. Und doch hätte ich mit solcher Rigorosität, mit einem solchen Angriff nicht gerechnet. Es kommt mir so absurd und archaisch vor – einfach die Panzer aus der Garage zu fahren, ins Kriegshorn zu blasen und das Land zu überrollen, das man als „seins“ betrachtet, aus irgendwelchen Gründen, die tief in der Vergangenheit liegen. „Old fashioned“ nannte ein australischer Bekannter, den ich gefragt hatte, wie es ihnen geht nach der Flutkatastrophe, das. Noch so eine Krise. Eine Freundin, die ich über eben diesen Bekannten kennengelernt habe, hockt ohne Strom im australischen Outback und sagt, es sei ein Inlandstsunami gewesen, wie ihn noch nie jemand gesehen habe. Nun hat sie eine ausgeprägte theatralische Ader und liebt Übertreibungen, aber ich glaube ihr. Es gäbe keine Strassen mehr. Sie rationieren die letzten Liter Diesel für den Generator; sie wissen nicht, wann es wieder welchen gibt. Sie lebt weit draussen und hat deshalb immer genügend Vorräte an wenigstens Grundnahrungsmitteln, aber es gibt andere, denen wird’s knapp. „Old fashioned“ – passt eigentlich schon. Kriege kommen, leider, nicht aus der Mode, aber ich stelle mir dennoch vor, es müsste andere Wege geben, heute, wo die Welt über so viele Kommunikationswege und Netzwerke verfügt, wo sämtliche Belange so offen daliegen könnten, wo so viele doch eigentlich um andere Lösungen wissen und man sich darüber austauschen und darin helfen könnte. Wenn alle anerkennen könnten, dass die Welt sich stetig verändert und es keinen Anspruch auf ewigen Bestandsschutz gibt, stelle ich mir vor, ließe sich viel Streit vermeiden.
Ich versteh´s nicht, und ich wollte mich auch nicht damit befassen.
Auszeit. Muss man sich leisten können. Konnte ich. „Bis zum Aschermittwochmorgen“. Dann wieder.
Den Film „Narren“ habe ich lange nicht angeguckt. Er sei so narrenzunftkonzentriert, hatte es geheißen. Und ich hatte das als Gegenargument genommen und immer anderes vorgehabt. Und schließlich habe ich ihn zwei Mal gesehen und fand ihn toll und durchaus erhellend.

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Aus dem Nähkästchen

Es ist Herbst, ein sehr schöner zwar, aber unzweifelhaft Herbst. Danach ist lange Winter. Da trösten auch die marmorierten Kastanien und bunten Blätter nicht ganz darüber hinweg. Es steckt immer „Ende“ im Herbst, und weil im Herbst das neue Schuljahr anfängt und mit ihm viel Neues, auch Anfang. Zeit zum Sortieren und Ordnen, was will ich und was will ich nicht. Und was packe ich wie in die Beziehungskiste, und will ich überhaupt eine haben? Sich als Teil eines Paares zu fühlen ist so schlecht nicht, schon, weil damit ein geeigneter Rahmen für ein paar Grundbedürfnisse wie Nähe und Körperwärme geschaffen ist. Und für jemanden mit-zuständig zu sein, ist auch schön. Aber egal, wie man es angeht – es vermischen sich Leben, und der eine wird irgendwie Teil vom anderen. Das sollte schon einigermaßen passen. Und ohne ist auch nicht schlecht. Ich habe nicht das Gefühl, dabei auf Liebe verzichten zu müssen. Mit der Liebe verhält es sich, glaube ich, ziemlich konsequent wie mit dem Echo – so wie man ruft, ruft es zurück. Da kann Liebe aus allen Ecken und Nischen kommen, völlig frei von Beziehungskisten und Geschlechterrollen, und das, ganz ohne dass wer sein Lebensgefühl einem anderen anpasst und sich früher oder später eventuell komisch damit fühlt. Und ohne dass Schmetterlingsschwärme die Sicht vernebeln. Und ohne dass das C zwangsläufig nach dem B und dies nach dem A kommen muss und schon im Voraus festgelegt ist, was B und C und alle ihre Kompagnons beinhalten. Wenn ich so um mich sehe, finde ich das A oft vielleicht noch ganz nett, manche Bs und Cs aber wenig erstrebenswert. Und das ist nicht Rosinenpicken. Freundschaft und Liebe dürfen mir durchaus etwas abverlangen, zweitweise auch viel, zeitweise darf es auch weh tun -jemanden leiden können hat durchaus aus mit es-leiden zu tun – aber ich lege doch Wert darauf, mitbestimmen zu können, was und wie sie das tun.

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