„Der Himmel ist nicht geerdet!“

„Probleme werden da anders gefixt“,

– auf dem Kongress des ChaosComputerClub, der über einen eigenen Himmel verfügt, erzählte die Frau des Leiters vom kleinen Zelt beim Kulturufer in Friedrichshafen, nämlich „sofort, kollektiv, technikbegeistert und zielorientiert“. Engel gibt es viele auf diesen Kongressen; sie sind zuständig für Müll und allerhand andere Logistik, die es braucht, wenn 30.000 Leute technikbegeistert und zielgerichtet Probleme fixen. Und die Engel haben ihre Base, wie kann es anders sein, im „Himmel“, der ein Zelt ist, das wiederum kein geeigneter Zufluchtsort ist bei einem Unwetter. Wenn es blitzt und stürmt, muss man raus, denn der Himmel ist nicht geerdet. So war es auch bei Gisbert zu Knyphausen und dem Pianisten Kai Schumacher, die ihr Konzert im großen Zelt in Friedrichshafen abbrechen mussten, und das, obwohl man ihnen hätte eigentlich dankbar sein müssen. Kai Schumacher hatte den Regen beschworen. Erst war da nur Wind gewesen, dann legten Schumachers Hände sich auf die Tasten und lockten, und erst kamen vereinzelte Tropfen, und wie die Hände schneller und schneller und schneller wurden und endlich wie wild geworden über die Klaviatur rasten, so prasselten schließlich auch die Tropfen aufs Zeltdach, Klavier und Sturm wurden eins. Magic. Wenigstens den „Leiermann“ von Schubert hat es vor Abbruch noch gegeben. Gisbert von Knyphausen – mega.
 
Der Himmel-Satz begleitete mich tagelang, an den Jongleuren, Akrobaten und Feuerspeiern vorbei, ins Klezmerkonzert, wo die Luft schwül waberte und die Klänge virtuos ins Ohr schwammen, zu Fred Wesley, einer Funk-Legende, die so schräg wie cool war. Bestimmt lag es an meinem Blickwinkel. Ich stand, weil ich nicht vorne sitzen wollte, seitlich in den oberen Rängen und sah ihn von schräg oben. Steinalt und in sich zusammengesunken auf einem quietschroten Küchenhocker sitzend, schwarze Waden über knallgelben Schuhen. Das dunkle Hemd über den rostbraunen Shorts spannte an der Brust und stand ab dem Hosenbund offen auseinander, was einen stattlichen Bauch vermuten ließ; „vielleicht hat er einen Buckel“, dachte ich. Ein hell leuchtender Heiligenschein umgab das schwarze Gesicht. Voll schräg, und soo cool. Er animierte das Publikum zu Lippenakrobatik, „back to the boogie“ oder so ähnlich, mit so vielen Bs aneinandergereiht, dass die Lippen sich verhedderten, später im Wechselgesang „bake a bread with my mom“ und „pass the piece“. Das Publikum erhob sich von den Stühlen, irgendwann standen, tanzten und sangen alle. Auch Fred Wesley stand, alt, aber nicht steinalt, der heiligenschein waren weiße Haare, der Küchenhocker war ein recht schickes Designermöbel, und Wesley hatte keinen Buckel und war auch gar nicht dick. Im Stehen war er weniger schräg, aber immer noch total cool.
Manchmal liegen Himmel und Erde schon sehr nahe beieinander. Das Leben kann so schön sein. Liebe und Wein, See und Sommer, vor der Wohnwagentüre eine Schlemmermeile, Musik, Theater und Straßenkunst, und jeder Quadratmeter birst schier vor Lebensfreude. Den Kindern würde das gefallen, dachte ich, dies Lager am Bodenseeufer, die Wiese mit den vielen Zelten, in denen sie werkeln und basteln, bauen und spielen. Kurz dachte ich an den letzten Tag vor der Abreise, an Rottweils „Ferienzauber“. Die Tochter und ich haben uns mit einem ganz gleichen Duo dort getroffen. War sehr schön; wir kennen uns lange genug um zu wissen, wie wir eine gute Zeit zusammen haben können, egal wo. Der Fahrradparcours im Kinderbereich war bereits abgebaut, die Spielgeräte belagert, im Zelt gab´s Schmetterlingsbasteln. Wir haben unsre Kinder genötigt, „macht mal!“, damit sie wenigstens Etwas im Kinderbereich gemacht hatten. Ferienzauber war schon ein großes Kinderspektakel mit Werkeln, Bauen, Tanzen und so gewesen – bevor Party und Bands vollends übernahmen und es nun reine Location war, mit eher weniger Zauber. Sei´s drum.
Mittlerweile sind beide Kinder in ihren jeweiligen Sommerlagern. Ich habe bis jetzt nichts gehört, demnach ist wohl alles okay. Beim Großen konnte ich nur noch hinterhergerufen „viel Spaß!“, und schon war er weg. Die Kleine war hin und gerissen zwischen Nähe und Abstand, die Tränen so dicht hinter dem Auge, dass jede Berührung die Dämme einzureißen drohte. Besser nicht dem Weinen nachgeben, dachte sie wohl. Nach ner halben Stunde im Zug war´s bestimmt eh vergessen. Wir sind ganz getrennt, fern voneinander. Ich hoffe, es geht allen Familienmitgliedern so gut wie mir gerade.
Ich habe, nachdem die Kleine verabschiedet war, noch zu meiner Freundin gesagt „hoffentlich geht alles gut“. Mir war schon etwas schwer ums Herz. Und sie, deren Kinder jahrelang dabei waren: „es sieht chaotischer aus, als es ist, sie bringen´s immer hin, und wenn nicht gleich, dann etwas später. Und was soll´s – sonst erfahren sie auch nur, dass auch mal was NICHT klappt und glatt läuft, sie erfahren, dass Dinge auch scheitern, und das lernen sie eigentlich viel zu wenig“.
Stimmt. Auch Scheitern will gelernt sein.
Ich weiß nicht, weshalb es mir jetzt einfällt. Als große Träume kläglich scheiterten….

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