Potsdam, Herz hohenzollern-preussischer Lebensart und Macht. Ich war vier Tage dort einen Jugendfreund besuchen, mit dem ich nicht immer einen sehr regen, aber wenn, dann überaus schönen Kontakt pflege. Wir sind uns einig, Rottweil ist ein Ort, den man mal verlassen haben darf. Aber, auch das war Thema, und das betone ich ihm gegenüber, es ist auch ein Ort, an den es gut ist zurückzukommen. Es waren denn auch dies Mal wunderbare Tage. Ich mag die Havel und den Freund, sein Restaurant und das Reisen mit dem Zug. Potsdam selbst geht mir mitunter auf den Zeiger. Ich habe kein einziges Foto von der Stadt gemacht. Prachtbau an Prachtbau an Prachtbau, dazwischen mal eine Kirche, oder ein Schloss, oder ein Triumphbogen, und sonst wieder Prachtbau neben Prachtbau neben Prachtbau. Stein gewordene Großkotzigkeit. Im Park Sanssouci dasselbe in Grün: das Schloss Sanssouci selbst, dazu die Orangerie, und die wurde umgebaut zum Gästeschloss, und also brauchte es ja wieder eine Orangerie, und also noch eine solche, und das Gästeschloss war auch zu klein, so brauchte es ein weiteres, das dann „Neue Kammern“ heißt, die freilich nicht Kammern sind, sondern prächtige Säle mit vergoldeten Bildhauereien an den Wänden, und das reichte immer noch nicht, und also brauchte es das neue Palais, das so groß ist wie die andern zusammen, und hinter diesem noch Communs – Wirtschafts-und Verwaltungsgebäude, mit Bogen verbunden, auch irgendwie ein Schloss, und dann natürlich noch kleine Bauten für die schöne Aussicht, das Fernweh, die Fantasie, die Lust – was weiß ich, die eigene Selbstherrlichkeit. Friedrich der Große war aufklärerischen Idealen verbunden und mag mitunter Großes geleistet haben. Eine aggressive Politik verfolgt hat er trotzdem, und es haben für seine Größe viele Leute geschuftet, gelitten und ihr Leben gelassen. Da ist Dankbarkeit gemischt mit Groll. Nun hat er nach einigem Umbetten seine letzte Ruhestätte in seinem Lieblingsschloss gefunden. Anscheinend liegen aus Dank dafür, dass er Brandenburg die Kartoffel gebracht hat, immer solche auf der Platte, hat mir ein Einheimischer erzählt, ich war selbst nicht drin. Der „Alte Markt“ im Stadtzentrum, an Landtag und Nikolaikirche, ist ein großer Platz ohne einen einzigen Grasshalm, ohne einen Blumenkasten, nicht mal ein Baum im Kübel, nichts, nur Stein – ein Manifest fehlenden Bewusstseins der Klimakatastrophe. Ein paar Straßen weiter hängt ein Transparent zwischen Bäumen, und der Freund erklärt mir, dass der Wohnkomplex dahinter, Sozialwohnungsbau, mitsamt den Bäumen abgerissen werden soll. Man wartet noch auf einen Investor, der da dann schick und neu baut. Das ist aus gentrifizierungs – und ökologischen Gründen NoGo. Die Tafeln haben wegen steigender Energiepreise um moderne Kühlgeräte gebeten, Kosten 25.000 Euro. Potsdam verfügt über eine hohe Promi-und Reichendichte. Viele spenden und sponsern – hier ein Bild, da eine Skulptur, einer hat gar 23 Millionen für das Kupferdach überm Landtag springen ließ. Bis jetzt fühlte keiner sich veranlasst, bei den Tafeln unterstützend tätig zu werden. Das regt mich auf. Wie kann das sein? Wie kann es geschehen, dass Reichtum und Macht so losgelöst sich um sich selbst drehen? Da will ich dagegen anrennen wie die Franzosen 1789 gegen die Bastille. Natürlich sehe ich die Großartigkeit in diesen Kunstwerken und Bauten, ihre Ästhetik, Glanz und Genie. Aber der Preis ist zu hoch, und er wird von Leuten entrichtet, die nichts davon abbekommen. Da sind mir Künstler lieber, die nicht das ganz Große brauchen und es doch erfassen.
„Revolution!“, „Umsturz!“ „Ende, aus, Amen“ oder „Systemwandel!“. Es brodelt. Es kippt.
„Wenn der Kahn nach rechts kippt, setze ich mich nach links“. Was hat man sich in der Afd aufgeregt über dieses Stück des Zimmertheaters und den Umstand, dass Kultur im Land unabhängig von politischer Gesinnung gefördert wird. Wenn die Kunst das Gären bespricht, dann bitte nur, wenn man gut wegkommt dabei. Steuergeld nur für Lobgesänge. Es war nicht das Stück, das man eben gesehen hatte, mir fällt´s nur gerade ein. Wegen dem ´Kippen´.
Sehenden Auges, will mir scheinen, stürzen wir uns ins Unglück. Es ist, als müssten wir schnellschnell wissen, wie unsere Geschichte zu Ende geht. Wie jemand, der vor und ins letzte Kapitel blättert. Dabei ist das noch nicht mal geschrieben. Und ich muss mich selbst mahnen – es ist auch noch gar nicht raus, ob es eine Tragödie gibt. Von einer Tragödie spricht man erst, wenn am Ende wirklich restlos alles seine schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Bis dahin aber gibt es immer noch bessere Möglichkeiten. Der Gedanke tröstet, er lässt einen Funken Hoffnung.
Draußen liegt Schnee heute, dabei scheint der Sommer eben erst vergangen. Es war doch erst gerade, da saß ich im Sommertheater im Bockshof, in einem kurzweiligeren, sommerlaunigen Stück. Nach der Vorstellung blieb man sitzen, ein kleiner Kreis, (Sicherabstand gewahrt), um uns wurde verpackt und aufgestuhlt, drumherum war Dunkelheit. Wir saßen und redeten, und in unserem Kreis war man sich einig – es kippt – das Klima, die Ökosysteme, der Frieden, der Zusammenhalt der Gesellschaften, alles, es geht den Bach runter. Und wir sitzen da und versuchen, die Nerven zu bewahren.
„Halte dich an Jesus“, sagte neulich eine ehemalige Nachbarin zu mir, die ich auf dem Spaziergang zufällig getroffen hatte. Sie liest Biographien von Christen, die sich in Krisen umso stärker an ihren Glauben hielten und viel in der Bibel. „Das hilft es auszuhalten!“
Ich will aber gar nicht aushalten. Im Übrigen bin ich mir gar nicht sicher, ob das das Problem nicht eher verschärft. Ein Bekannter, ein Perser, der jetzt seit vielen Jahren in Deutschland lebt, hatte mir unlängst erklärt, wie in seiner Heimat über die vergangenen Jahrzehnte alles wegbrach, (nicht zuletzt mit Betreiben des Westens) – erst die Wirtschaft, der Wohlstand, die Kultur, Frieden und Freiheiten, zuletzt die innere Sicherheit, geblieben ist nur die Religion, der Glaube, und heute halten sich alle daran fest, auch die, die den vordem eher moderat und gelassen genommen hatten. Es gibt nichts mehr sonst zu verlieren.
So eine Fixierung auf den Glauben macht die Welt aber auch nicht besser, will ich meinen.
Wir haben die Wohnung jetzt adventlich geschmückt, und die Kinder freuen sich auf Weihnachten. Ich mag dieses Fest auch, und den Gedanken, dass die Nächstenliebe gefeiert wird, und überhaupt die Liebe und die Toleranz und die Nachsicht. Außerdem gibt man im Christentum viel auf Vergebung der Sünden, was ich sympathisch finde. Strafsysteme und Rachegelüste vergiften auch bloß und schüren üble Neigungen. Glaube kann ein schon Halt sein, und eine Struktur geben, einen Faden in die Hand, so wie die Aufteilung in Alltag und Wochenende und Feiertage die Zeit strukturieren hilft. Aber dass da irgendwelche überirdischen Mächte unsere selbstgemachten Probleme für uns lösen, das schließe ich aus. Das wird nicht geschehen. Und wenn wir noch so viel beten.
Es brodelt, es kippt, es rumort, überall. Die Auslöser sind unterschiedlich, aber ich empfinde das Brodeln als dasselbe. So viele Menschen wollen so viel, viele völlig zu Recht, und einige wollen mehr als andere, einige wenige das Meiste für sich.
“The world is looking at you!”, sagte der persische Freund. „Die Welt schaut auf Europa“.
Herrje. Ich weiß nicht, wie ich das finden soll. Was eine Bürde, und hier gärt es ja genauso. Nationalismus gegen Gemeinsamkeit. Populismus gegen Demokratie. Ich dachte, wir leben in Ländern und Gesellschaften, die im Geist der Aufklärung verwurzelt sind – die Befreiung von der Knechtschaft unter Kirche und Aristokratie, und Ideale, die ´Vernunft´, ´Toleranz´, ´Bildung´ und ´Bürgerrechte´ und ´Emanzipation´ heißen. Freie, aufgeklärte Bürger bestimmen ihr Schicksal selbst. Sie lieben und empfinden und glauben, jeder nach seiner Fasson, aber entscheiden tut man schließlich anhand von wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen und nach den Regeln der Vernunft, und ´Staat´ ist ein dem Gemeinwohl verpflichtetes, selbstverwaltetes Gebilde. Und jetzt müssen gerade Wissenschaft und Bildung sich so verteidigen und wird Toleranz verunglimpft als Gutmenschentum, und es gilt als fraglich, ob wirklich alle dieselben Rechte haben. Und es sind wieder alles ´Glaubensfragen´, Fakten gelten als bloße Ansichtssache. Es kommt ja schon so weit, dass Zweifel geschürt werden, ob die Erde tatsächlich eine Kugel ist und nicht vielleicht doch eine Scheibe. Gute Güte. Mir bleibt die Spucke weg. Natürlich muss sich Wissenschaft Zweifel stellen. Ich denke, Wissenschaft lebt von Zweifel und Fragen, aber mit Vernunft auch diese einkalkuliert, haben ihre Erkenntnisse Gültigkeit. Und eben die wird ihr aberkannt von denen, die grad am Lautesten ´Revolution!´ schreien.
Es liegt immer etwas Hehres in diesen Rufen, es klingt mutig und kühn und verwegen, und es greift so gut die Unruhe auf, die in der Luft liegt. Aber dann sehe ich mir die an, die da rufen und denke „nee, Veränderung ja, revolutionäre auch, bitte, gerne“, aber nicht so. Nach den Barrikaden kommen manchmal auch die Jakobiner, und dann neue Kaiser, und nichts ist besser, es ist nur eine Menge Leid geschehen, und es sind andere Köpfe oben, aber wieder gibt es ´oben´ und ´unten´.
Man darf es nicht den Ärschen überlassen, das Brodeln aufzugreifen und die Parolen zu formulieren. Man darf nicht sie ´Angst´ definieren lassen. Natürlich liegt Angst in der Luft. Aber die vor dem Virus und seinen Begleiterscheinungen scheint mir eine der Geringeren. Ich habe Angst vor der Zukunft meiner, unser aller Kinder, und mit dieser Angst stehe ich nicht allein. Ich habe Angst davor, was wir dem Planeten antun. Ich will, dass sich etwas tut! Es muss sicht-und spürbar sich Wandel zeigen. In der Politik wundert man sich über das Erstarken der Rechten und Komplett-Durchgeknallten. „Was sind sie denn alle so unzufrieden?“. Stimmt ja. Es geht den allermeisten ja eigentlich viel zu gut für eine solche Wut. Ich glaube, es ist die Angst, egal, wie die jeder für sich für sich selbst definiert. Es ist die Angst, die brodelt, und das übermächtige Gefühl ´so geht es nicht weiter´. Und je länger weiterregiert und verwaltet wird wie gewohnt, je mehr leistet man dem unguten Anteil in dieser Angst und diesem Brodeln Vorschub.
Es braucht eigene, andere Parolen. Bei den AHA-Regeln geht´s doch auch. „Abstand, Mundschutz und Hygiene“ – fertig. Kurz und bündig. Geht doch.
„Keine neue Versiegelung von Flächen, ehe nicht bereits zerschnitte undoder versiegelte, mittlerweile ungenutzte Flächen nicht verbraucht sind“. Mit Maßstäben der Vernunft und dem Gemeinwohl verpflichtet gemeinsam entschieden.
„Kein Müll in die Natur, unter keinen Umständen. Alles wird nach den neuesten technischen Möglichkeiten möglichst emissionslos entsorgt oder besser noch recycelt, im Land des Entstehens.“
„Öffentliche Transportmittel statt Individualverkehr. Gefördert wird, was dem gerecht wird.“
„Keine Kriege oder Unterstützung derselben!“ Es sei denn vielleicht sie dienen, zweifelsfrei und akut, der Verhinderung eines Genozids, was die einzige Rechtfertigung sein kann. Die Opfer eines laufenden Krieges genießen selbstverständlich Schutz und Hilfe.
„Keine Produktion von irgendwas, solange die Fragen nach Folgen und der Müllentsorgung nach Gebrauch nicht nachhaltig geklärt und sichergestellt sind.“
„Keine Produktion von irgendwas, ohne dass der Ressourcenverbrauch nachhaltig hineingerechnet ist.“
„Keine Produktion von irgendwas, ohne dass nicht alle an der Produktion Beteiligten angemessen entlohnt sind.“ Das gilt auch für Fleisch. Ställe müssen Luxus-Viehhotels sein. Wenn schon jung sterben zu anderer Wesen Genuss, dann wenigstens davor vortrefflich gelebt.
„Keine Handelsabkommen, die arme, kleine oder schwächere Marktteilnehmer übervorteilen“.
„Finanzmarktteilnehmer sind verpflichtet sämtliche Transaktionen offen zu legen. Sämtliche. In jedem Land, in dem sie aktiv sind.“ Eigentum verpflichtet, auch und gerade dem Gemeinwohl. Habenichtse legen schließlich auch offen.
Und mehr Ehrlichkeit.
„Das Wachsen ist vorbei. Wir müssen uns auf weniger einstellen. Wir verteilen so, dass möglichst keiner Not leiden muss!“…..
Es ist ja nicht so, ich verstehe die überwiegend ja doch vorherrschende Gelassenheit und Akzeptanz, in der sich die Leute derzeit einschränken, nicht anders: sehr viele Leute sind sehr bereit sich sehr weit fürs Gemein- und eigene Wohl einzuschränken. Das ist doch was. Das ist doch eine Basis.
Weit über 50 Prozent tragen derzeit Regeln mit, die als teilweise ungerecht, als unausgegoren, als widersinnig und unlogisch, als gemein, als schwer, als unter normalen Umständen unzumutbar gelten. Zu Recht. Sie sind starker Tobak. Und doch nehmen die meisten sie hin und das sind nicht unbedingt die, die weniger darunter leiden.
Manche spüren den Druck vielleicht gar nicht, denen geht es einfach gut, die genießen die gewonnenen Ruhe und ihr auskömmliches Dasein. Ich will´s nicht missgönnen. Wer glücklich ist, den lasse man glücklich. Ich find´s oft aber auch leicht bourgeois und biedermaieresk. Die haben kein Problem mit Lockdown, nicht mit light oder strong, denen passt es hin wie her. Die sind sich selbst genug und sehen die Not anderer gar nicht.
Es gibt aber durchaus viele Freischaffende, Künstler, Selbständige, Wirte, uswusf., Leute, die mitunter schwer zu darben haben und die dennoch sehr bereit sind mitzutragen – solange die Gründe dafür nachvollziehbar sind. Die weiß man halt gerne. Man will mit abwägen.
Vielleicht hat der persische Freund ja Recht. Vielleicht könnte man es vormachen. Europa hat eine starke Zivilgesellschaft, eine starke Wirtschaft und eine starke Demokratie. Von wegen ´Krise der Demokratie´. Nur weil paar Dumpfbacken den Reichstag stürmen, ist noch lange nicht die Demokratie bedroht. Und auch nicht beschmutzt. Herrje. Stelle man sich nicht so an. Das sind Flecken auf der Weste, die gut wieder rausgehen.
Vielleicht ist die Demokratie ja die beste Form, um Umwälzungen, wie sie stattfinden müssen, zu bewältigen. Sie ist nicht die einfachste, unkomplizierteste, das nicht, aber die gerechteste, und sie nimmt die meisten mit, anders wie viele andere Revolutionen und Umstürze das tun, in denen nur ein ausgewählter Teil profitiert. ´Systemwandel´. Da steckt das ganze Spektrum der Aufgaben drin, die anstehen, ohne den plötzlichen Umsturz. Systemwandel ist etwas, das sich denken und lenken lässt. Angehen muss man ihn freilich schon. Bereden. Thematisieren. Diskutieren. Hin und her drehen, von oben nach unten und umgekehrt und von links nach rechts und wieder zurück, von innen nach außen und von außen nach innen – Systemwandel ist das Thema, das ansteht.
Systemwandel ist ein Wort, das in der offiziellen Politik bislang nicht vorkommt, und so lange es das nicht tut, glaube ich, erstarken die Ultra-Rechten und Voll-Arschigen.
„Let´s move it!“ Und hey, Ihr Gewählten und Entscheidungsträger – Ihr auch – „move it!“ Habt nicht so einen Schiss vor Fehlern und Gegenwind oder gar dem Verlust eines Amtes. Keiner muss schließlich im Regen stehen bleiben. Und wir sind nicht dazu da, uns gegenseitig Zucker in den Hintern zu blasen.
Am Tisch des persischen Freundes breche ich eine Lanze für Gemeinwohlökonomie und das bedingungslose Grundeinkommen, für Frührente und Sozialhilfe, und dass die Reichen selbstverständlich mehr abgeben als Arme. Wer ganz wenig hat, muss auch auf ganz wenig verzichten, bei dem bleibt´s mit marginalem Abstrich gleich, was die Lebensstandards einander näher bringt. Auch gut. Proportional. Wo ist das Problem? – bei so viel Reichtum in so wenigen Händen bei so viel Bedarf in so vielen. Wenn man den Wandel mitdenkt, der Einkommensstrukturen verändert, sind´s, auf jeden Fall erstmal, umso mehr Bedürftige. Das macht den Gedanken umso logischer. Der persische Freund lacht. „Es gibt Länder, auch westliche, sieh nur Amerika, da getrautest du dich solche Worte kaum in den Mund zu nehmen! Du wärest erledigt. Das klingt nach Sozialismus, und der kommt gleich nach dem Antichristen.“ Ich schlucke. Da mag er Recht haben. Komisch ist es aber. Die Sünden des Kommunismus waren schlimm, aber in der Liste der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte steht er in bester Gesellschaft gleich neben dem Faschismus, den Kirchen, den Kaisern und Königen. Der Holocaust steht für sich. Den will ich als Einzig in seinem Bösen und Horror verstehen. Es will mir nicht einleuchten, weshalb Umverteilung und sozial konzipierte Politik schlecht sein soll. Die Welt geht den Bach runter, außer die Finanzmärkte, die nicht. Da darf man doch nachhaken!
„Revolution!“ Darin steckt „Jetzt! Auf die Barrikaden! Heute und sofort!“ Es hat bestimmt schon Zeiten gegeben, da hat das gegolten. Aber so ist es gerade nicht. Die, die „jetzt!“ schreien, sind nicht die, denen ich einen Wandel anvertrauen will.
„Systemwandel.“ So geht es nicht weiter. Jeder weiß es. Systemwandel – das könnte gehen.
Man kann das Kippen geringreden – das ist scheiße; man kann es leugnen – das ist mies. Aber eigentlich muss man es anerkennen. So geht es nicht weiter. Es wird nach Corona neue Krisen geben. Und freilich bringt auch ein Systemwandel Krisen mit sich, aber die, die man selbst lenkt, die hat man auch besser im Griff. Krisenpolitik ist die Anstrengung, es im Griff zu be- und für möglichst alle bewältigbar zu halten. Dies und ein Plan B, der einigermaßen verträglich und zielführend ist. Zielführend dahin, so würde ich es anstreben, dass der Plan das Kippen mindert und abfedert, so gut das geht, und der die derzeit existierenden Ökosysteme rettet. Freilich kann die Natur auch gut ohne uns Menschen, aber so ein schnelles Rundum-Sterben-und-Ausrotten ist ein Schock, der Leid bringt, und Leben ist schöner ohne solche Schocks. Für das Leben also, das, welches da ist. Keinen abschreiben oder einfach zurücklassen. 100% Glückliche gehen nie. Aber es soll auch mit und nach Systemwandel und Plan B möglichst vielen so gut gehen, dass sie eine faire Chance auf Glück haben.
Ach, ich weiß nicht, wie dies Ziel zu setzen und zu formulieren wäre. Frage man Politiker. „Wie sieht ein Plan B aus, habt Ihr einen? Sehr viele hätten gerne einen. Und wie könnte der gehen und worauf sollte er zielen?“.
Wir müssen reden. Wir müssen alle Bedenken und Ängste hören und aufgreifen und darüber reden. Es lassen sich bestimmt nicht alle zerstreuen, aber man kann verstehen und helfen und Anteil übernehmen. Solidarität und Frieden ist nicht umsonst. Und Politik ist auch nicht ´Beschließen und Verkünden´. Politik muss reden. Ich will den Werdegang der Entscheidungen wissen, die Bedenken und Zweifel, die Hoffnungen, die Für-und-Widers, das Abwägen, die Trotzdems. Ich will das alles wissen, und ich will die Worte, die mich bewegen, in den Überlegungen wiederfinden.
Wir müssen über den Systemwandel reden, und über einen Plan B.
Ich hab´s geschafft – ich war auf der Vernissage UND auf der Fridays-for-Future-Demo. Ich bin ziemlich stolz darauf. Im Laufe der Woche gab es schon Momente, da hätte ich das nicht für möglich gehalten. Und das trotz Urlaub. Aber der macht bisweilen auch, was er will. Da kann man die tollsten Pläne haben, und dann schickt er einen zu Wohnungsauflösungen und Umzügen, zu Krankenbetten und in Reparaturwerkstätten.
Der Besuch der Ausstellungseröffnung zu Holger Rabensteins Schaffensgeschichte am Donnerstagabend im Stadtmuseum klappte trotzdem. Als Zeitreise war sie angekündigt, und das war sie auch.
Zu meinem Bedauern stellte ich – nicht zum ersten Mal – fest, dass ich Großartiges verpasst hatte, die Anfänge des Jugendhauses zum Beispiel, mit diesen spektakulären Flyern mit dem Antlitz von Marsha Hunt, ein frühes Idol aus dem von mir heiß geliebten Musical ´Hair´, die also NICHT zu verwechseln ist mit Angela Davis, der Bürgerrechtlerin und Philosophin, und die also auch gefeit ist vor jedem Terrorismusverdacht, und somit völlig zu Unrecht Auslöser eines kleinen, lokalen Skandals wurde. Abgesehen davon, dass auch Angela Davis zu Unrecht verdächtigt war – ich liebe solche Skandale. In ihnen wird so unzweifelhaft deutlich, dass sie meist ganz banalen, neurotischen Ängsten entspringen. (Die Geschichte gibt’s bestens bebildert in der Ausstellung). All das war also vor meiner Zeit. Ich habe zwar später beim Richten der Stadtjugendringräume im Jugendhaus geholfen, nicht aber dessen ureigene Eröffnung miterlebt, nur seine Schließung.
Die Plakate zu den Festen in der Stadionhalle versetzten auch in meine Jugendtage zurück. Das waren tolle Feste. In wochenlanger Arbeit wurde die schnöde Halle zum Frühlingstempel oder zur Hafenstadt, war nicht wiederzuerkennen, und kaum waren die Pforten geöffnet, strömten die Gäste von Stadt und Umland in Scharen. Das waren Megaevents, von denen man monatelang zehren konnte. Ich stelle fest, ich zehre heute noch.
Die Feste waren Gemeinschaftsaktionen. Viele Ideen, deren Umsetzung und die Plakate kamen von Holger, der, eigenwillig und souverän und sozial bindend – ein Rabensteinhaus schafft es irgendwie immer, ein bisschen Heimat für ganz viele Leute zu sein -, die schöne Kunst beherrscht, aus wenig viel zu machen. Ich stelle mir vor, das ist ein bisschen wie beim Kochen – wenn man im Feinkostgeschäft einkauft und bei Zutaten und Gerätschaften nicht zu sparen braucht, ist es leicht, gut zu kochen. Wenn man die letzten Kröten zusammenkratzt für ein paar Grundnahrungsmittel und Gemüse mit rotem Rabattaufkleber, und beim Zubereiten hauptsächlich Messer und Schneebesen benutzt, sollte man schon einen guten Plan haben.
Schließlich das Sanieren. Ich selbst habe den Preis im Grunde noch vor dem Schaffen genossen. Auch schön – erst die Ehrung, dann die Arbeit. Bei der Fahrt nach Bonn zur Verleihung des Denkmalschutzpreises war ich gleich mit dabei. Das war eine tolle, große Sache. Ich verfolgte aufmerksam die Führung durch den damaligen SPD-Abgeordneten Kirschner, der dann von einer Mitreisenden verwechselt wurde mit ´Hauser´, weil Kirschner die Hauser-Plastik vor dem Abgeordnetenhaus erklärt hatte. Und weil das also der Name war, der hängen blieb, wurde die Mitreisende – in der großen, fremden Stadt verirrt – von einem tatsächlich existierenden Abgeordneten Hauser, der – was hält die Welt doch für wundervolle Zufälle bereit – Rottweil kannte, von diesem also wohlbehalten zur Gruppe zurückgebracht. Großartig! Das Buffet war auch gut.
Aber zurück -. Ich wusste damals nicht, wie sehr wir unserer Zeit voraus waren. ´Aus Alt mach Neu´ unter Nutzung des Alten, soweit irgend möglich. Bei der Demo diesen Freitag kam es wieder zu Sprache – der CO2-Ausstoß der Betonproduktion, der einen schwindeln macht. Es mag bisweilen billiger sein, abzureißen und neu zu bauen, ökologischer ist es nicht. Ich denke immer, die Energie, die schon in einem Haus oder in einem Gegenstand drin steckt, inklusive der Rohstoffe, die muss man nicht noch mal reinstecken. Nutzen, was bereits da ist. Das regt auch die Fantasie an. Ich stelle mir den Komplex um die alte Feuerwehr vor. Die Fahrzeughalle – na gut – sei´s drum – aber vielleicht wäre ja selbst die neu zu nutzen. Der Rest als vergemeinschaftetes Wohnen, in Einheiten, wie sie die Gebäude vorgeben, nobel und schlicht, groß oder klein. Ach, so stelle ich mir das Wohnen überhaupt vor, ob in der Kernstadt oder im Neubaugebiet – vergemeinschaftet. Ein Waschraum für alle, in Garten oder Hof ein großes Trampolin und eine Nestschaukel, und im Entré eine Art Lounge mit Sofas und Sesseln, einer Kaffeemaschine, einem Kühlschrank für kühle Getränke und mit einem schwarzen Brett für Aushänge, Angebote, Nachfragen, und Ankündigungen. Und da trifft man sich und tauscht sich aus und tauscht auch Hilfe aus, Einkauf oder Suppe gegen Dübel in der Wand, die ich, obwohl stolze Besitzerin einer Bohrmaschine, doch nie wirklich reinbringe, weil dann immer der passende Bohrer fehlt oder die Wand nicht will wie ich es tu. (Okay, es ist ein Akkuschrauber, was die kleine Schwester der Bohrmaschine ist. Ich nenne sie trotzdem gerne Bohrmaschine. Gefragt im Baumarkt hatte ich nach einer solchen. Kann ich was dafür, dass der Typ mir die Miniaturausgabe empfohlen hat, weil er meinte, das Original sei zu schwer im Handling? Für mich. Als Frau. Für meine Bedürfnisse. Was weiß der schon von meinen Bedürfnissen. Meine Leichtgläubigkeit stellt mir Bein um Bein).
Die Idee des vergemeinschafteten Wohnens in einem städtischen Gebäudekomplex rabensteineresk umgesetzt – es würde mir vermutlich die Tränen in die Augen treiben.
Mag sein, da ist der Wunsch Mutter des Gedankens. Aber so ist´s. Ich liebe unsere Wohnung und wir sind – meistens – glücklich, und es geht uns gut, aber es wäre halt klasse, sie wäre nicht so für sich und es wäre nicht jede Aufgabe eine, die man alleine bewerkstelligen muss. Teilen wäre leichter und ökologischer und oft bestimmt auch lustiger. Okay, es wäre für einige weniger verdient. Aber herrje – irgendjemand mosert immer. Wer da mosert, der tut das auf allerhöchstem Niveau, da kann man dann schon mal sagen – dann sei es halt so.
Und jetzt alles Schwere beiseite. Es ist Zeit für adventliches Schmücken. Das bringt Licht in trübe Tage und Gedanken. Und wenn das Licht nicht hilft, dann tut´s bestimmt ein Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt vor der Haustür. Die Buden stehen schon. Und wenn Weihnachtsmärkte auch als ´Wacken für Büroangestellte´ verschrien sind – wer weiß, vielleicht ist was dran, ich bin keine Büroangestellte – dann sei´s drum, ich tue so, als wäre ich eine – let´s rock it.
Die Ausstellung im Stadtmuseum und im Alten Rathaus dauert übrigens bis 24. Januar. Außerdem gibt es am 14.12. und 11.01., jeweils um 14.15 Uhr, Führungen mit Holger Rabenstein persönlich, am 07.12., 27.12. und am 02.01, ebenfalls um 14.15 Uhr, Siebdruck zum Mitmachen für Kleine und Große von Dr. Gwendolyn Rabenstein und am 04.01. eine Film-Matinée im Festsaal der Gymnasien mit den drei Filmen des Rottweiler Filmemachers Dieter Funk, bei denen Holger mitgewirkt hat.
„Schule schwänzen für die Zukunft ist wie Bomben legen für den Frieden“, sagt Reimond Hoffmann von der Afd.
Er muss es wissen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er so manches verpasst hat – damals.
Streiken ist nicht Schwänzen. Ein Streik will Aufmerksamkeit, ein Schwänzen möglichst nicht. Und weil´s die Aufmerksamkeit erhöht, wird provoziert. Weiß man eigentlich in der Afd. Und Bomben legen für den Frieden ist Unfug, in der Tat, nichtsdestotrotz leider dennoch gängige Praxis. Die meisten Kriege werden so begründet.
Und wieder dieser bescheuert altkluge Zeigefinger – „was soll denn mit der Wirtschaft werden? Wie, ihr jungen, dummen, Leute, wollt Ihr denn das bezahlen?“
Yep! Let´s talk about money. Es ist ja nicht so, dass es zu wenig Geld gibt im Land, und in der Welt. Es ist nur sehr konzentriert verteilt, und einige, die ungestört weiterverdienen wollen, hocken drauf. Und über die Rechnung, die kommt, wenn man nicht umdenkt, hat man noch gar nocht geredet. „Wie, ihr alten dummen Leute, wollt Ihr das bezahlen?“, könnte man zurückfragen. Wird man keine Antwort bekommen; es gibt nämlich keine, zu hören bekommt man nur beschwichtigende Ausflüchte – diese Rechnung darf schlicht nicht interessieren.
Effekthascherei?
Seien wir nicht so abgebrüht. So unlauter und billig ist das hier nicht. Natürlich sind die Methoden auf Effekt angelegt; man will ja was erreichen. Und man appelliert an die Angst, an Verantwortung, an Moral, ja – ans große Ganze. Ans Eingemachte. Weil man das so empfindet – es geht gerade ans Eingemachte. Ans Existenzielle. Und da lieber Effekthascherei, jawohl, wenn man es denn unbedingt so nennen will, als ewig dieselbe abgebrühte, stereotype Haltung gegenüber allem, was geschieht. Wenn einer sich von gar nichts mehr aus der Ruhe bringen lässt, wenn einen gar nichts mehr juckt – dann darf man da auch Ignoranz und Kaltblütigkeit unterstellen.
Dann lieber Effekthascherei.
Und was die Glaubwürdigkeit angeht – ja – ein weites Feld. Ich verzichte auf eine Gegenrechnung – wo überall in der Politik, in der Wirtschaft, im Glauben, im sozialen Miteinander A gesagt und B gemacht wird, wie und von wem. Ich weiß nicht, ob irgendwer der Anwesenden auf der letzten Demo gerade erst von Mallorca zurück war. Ich habe nicht mit allen gesprochen, aber die, mit denen ich gesprochen habe, waren alles Leute, denen es Ernst ist.
Endlich hab ich es geschafft, dabei zu sein. Bin mächtig
stolz. Die erste Demo seit Jahren. Hat
gut getan, sollte man viel öfter machen.
Und dann erfahre ich, dass das, was am Morgen noch als heimatloser Satz über die Tastatur schlich, einen handfesten Rahmen hat:
Am Morgen dachte ich noch, mit dem Kopf bei ´Backfire for
Max´, es sei ja doch eigentlich beschämend, wie weit weg in Rottweil die ganzen
Waffenschmieden im Kreis dünken. Wie
wenig das interessiert. Wie gleichgültig
das hingenommen wird. Rottweiler Technik tötet auf der ganzen Welt. Wir leben seelenruhig und gut davon.
Es stimmt nicht. Es wird überhaupt nicht gleichgültig
hingenommen. Von wegen Seelenruhe. Am Morgen war eine Demo am
Duttenhoferdenkmal, weil Heckler und Koch seine Hauptversammlung im Neckartal hatte.
Protestlieder wurden gesungen, Schilder geschwenkt, Symbolleichen auf den Boden
gelegt. Den angebotenen Kaffee abgelehnt – kein ´Blutespresso´! Ich hab´s nur
nicht mitbekommen. Da sieht man´s mal. Sich über allgemeine Gleichgültigkeit
mokieren und dann – seelenruhig – im Alltagsblues die Demo verpennen. och koomm
Dafür mittags bei Friday for future Lärm gemacht, marschiert,
Parolen geschmettert, mich aufs Pflaster gelegt, zugehört.
Es ist schon toll, was diese Jungen da auf die Beine
stellen. Und toll, mit wieviel Geist und Elan, und Humor, da Veränderung
eingefordert wird.
Abkehr vom Protegieren des Autoverkehrs. (Ich finde auch widersinnig, was ich just an diesem Tag in der Zeitung gelesen habe: dass das Busfahren wieder teurer wird. NOCH teurer. 2,20 für eine Kurzstrecke, über 4 für ein Tagesticket – das ist happig, und das bei teils miesen Zeiten und Anbindungen).
Nachhaltiger – und
gesünder – leben, weniger Fleisch. Oder gar keins. Vegan.
Ich hatte nicht gewusst, dass weltweit betrachtet die Fleischproduktion
mehr Co2 freisetzt als aller Verkehr zusammen, und auch nicht, dass Butter
eines der klimaschädlichsten Lebensmittel ist. Muss ich drüber nachdenken. Und
vielleicht doch mal Hafermilch probieren oder so was.
Second hand trading. Kein Problem für uns.
Und vor Allem Dranbleiben. Reden, Diskutieren, Demonstrieren,
Provozieren, Argumentieren…